Alexander Gruber feiert seinen 80. Geburtstag …

… und wir gratulieren unserem Autor ganz herzlich!

Den Ehrentag feiern wir mit einem Märchen aus Alexander Grubers Band „Tiermärchen vieler Völker: Tiermärchen aus dem vorderen Orient“.

Katzen mit Kerzen

Vor sehr, sehr langer Zeit, als noch ein Kaiser in Persien regierte, gab es einen klugen, erfahrungssatten Wesir, auf dessen Ratschläge und Hinweise der Kaiser größten Wert legte.
So gut wie immer folgte er ihnen. Als er eines Tages unvermutet starb, folgte ihm sein Sohn auf dem Thron nach. Auch der war klug, gescheit und fleißig und hatte sich von früher Jugend an mit ausgezeichneten Lehrern umgeben. Von dem, was der Wesir zu sagen hatte, wollte er nichts wissen, zog ihn nicht mehr zu Rate, bestätigte ihn nicht in seinem Amt und musste sich dafür einige Vorhaltungen anhören: »Ohne ihn hat dein Vater nichts entschieden und ist gut damit gefahren!«
»Ich glaube nicht, dass mein Vater ihn richtig eingeschätzt hat«, antwortete er, »aber ich stell ihn selbst auf die Probe.«
Nach einigen Wochen schickte er ihm einen Boten mit der Frage: »Was tut beim Menschen die größere Wirkung: wie er veranlagt oder wie er erzogen ist?«
Der Wesir brauchte keine Bedenkzeit: »Wie der Mensch veranlagt ist, damit wird er geboren und so bleibt er. Wie er erzogen wird, das kommt von außen dazu, verblasst in harter Not, oder blättert ganz ab.«
Daraufhin lud der junge Kaiser den Wesir zum abendlichen Gastmahl. Wie gewöhnlich war die Tafel im kleinen kaiserlichen Speisesaal – was da so »klein« heißt! – exquisit gedeckt. Schwere Seidenvorhänge verdeckten den Ausblick in die Gärten. Um die Tafel standen strahlend schöne, erlesene Katzen mit langem, glänzendem Fell aufrecht und trugen brennende Kerzen in den Vorderpfoten. Sanft erklang Musik.
»Du siehst!«, sagte der Kaiser zum Wesir. »Deine Ansicht kannst du vergessen. Die Väter dieser Katzen waren keine Kerzenzieher.«
»Nein, gewiss nicht!«, sagte der Wesir. »Aber, junge Majestät, ich bitte, gib mir bis morgen Zeit für die Erwiderung.«
Als der Wesir am Abend spät nach Hause kam, rief er einen Sklaven und befahl ihm: »Verschaff mir ein paar Mäuse, bind sie mit einem Faden fest und bring sie mir!«
Am andern Abend knotete er die Mäuse in ein Tuch und steckte sie in seinen Ärmel, bevor er zum Kaiser ging.
Wieder standen die schönen Katzen mit Kerzen um die Tafel, als die Speisen aufgetragen wurden, und da knüpfte der Wesir heimlich das Tuch auf und ließ die Mäuse frei.
Schon ging’s los! Die Katzen ließen wie auf Kommando die Kerzen fallen, dass beinah das ganze Schloss in Flammen aufgegangen wäre, und jagten, was hastu, was kannstu, den Mäusen nach.
»Junge Majestät«, sagte der kluge Wesir, als wieder Ruhe eingekehrt war, »so ist es eben: Die Katze lässt das Mausen nicht, wie gut sie auch dressiert sein mag!«
»Ja, du hast Recht!«, antwortete der Kaiser, setzte den Wesir wieder in sein Amt ein und behandelte ihn ganz so, wie es sein Vater vor ihm getan hatte.

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