LEUCHTTÜRME – Zu Besuch bei Büchers Best

Es war einmal ein Junge, dem war sein Werdegang gewissermaßen schon in die Wiege gelegt. Erst recht, weil er im Osten aufwuchs. Zumal nahezu auch alle in der Familie irgendetwas mit dem Gewerbe zu tun hatten. Und es da, wo er herkam, eigentlich auch keine Alternative gab – in Magdeburg, der Metropole des Schwermaschinenbaus in der DDR. Also wurde Jörg Stübing Maschinenbauer. Und wenn das Leben nicht so voller Zufälle, Überraschungen und Abzweigungen gewesen wäre – wer weiß … Dann würde er vermutlich noch heute entwickeln, bauen und schrauben.

Stattdessen wurde er Buchhändler. Nicht irgendeiner, sondern im wahrsten Sinn des Wortes auch ein ausgezeichneter: „Büchers Best“, der nur 35 Quadratmeter große Laden in der Dresdner Neustadt, gehört zu jenen Leuchttürmen im Meer der Buchhandlungen, die schon mehrfach prämiert wurden.

Es ist kalt an diesem Morgen in der winterlichen Landeshauptstadt, als wir uns bei tanteleuk (sprich tantelöök) treffen – jenem Café vis-à-vis der Buchhandlung, das auch Schauplatz für die vielen unterschiedlichen Veranstaltungen ist, die der 59-Jährige mehrmals monatlich organisiert. „Was willste wissen?“ Und schon fängt er an zu erzählen aus seinem abwechslungsreichen Leben – unverblümt, geistreich und nicht selten mit einem Augenzwinkern. Mich dabei immer fest im Blick.

Bis zu der Erkenntnis, dass er nicht der geborene Techniker ist, bedurfte es erst eines weiteren Umwegs – dem des Studiums der Kybernetik in Dresden. Moped, Freundin, Dresden hatte er mit 17 auf seinen Wunschzettel ans Leben notiert. Die als Elbflorenz titulierte Stadt erschien dem Jugendlichen ungleich verlockender als das Dasein im drögen Magdeburg. Die Faszination für die sächsische Metropole ist geblieben, mit der Kybernetik hingegen konnte er nicht allzu viel anfangen.

Und dann kam die Wende.

Und mit ihr tausend ungeahnte Möglichkeiten. Jörg Stübing, der sich schon als 14-Jähriger in die Werke des Malers Caspar David Friedrich vertieft hatte und nach der Grenzöffnung als erstes Buch „Die offene Gesellschaft“ von Karl Popper kaufte, schrieb sich an der Uni Leipzig ein, studierte Editionswissenschaften und Politik und brillierte in Philosophie zum Thema Personalität.

Aber was fängt man damit an? Das Angebot, zu promovieren, lehnte er aus zwei Gründen ab. Zum einen hätte er seinem Doktorvater nach Stuttgart folgen müssen. Aber Trollinger trinkend in Schwaben? Um Himmels willen!

Zum anderen stellte sich der fertige Student aber auch die Frage, wie sein Leben zehn Jahre später aussehen sollte. Würde er nicht zu viele Chancen verpassen, wenn er seine Zeit in eine Promotion steckte? „Mir war klar – ich bin kein Genie, aber auch nicht dumm. Aber was habe ich von einem Doktortitel?“

Sprach’s, verzichtete auf den Sprung in den „Teich der Eitelkeiten“ und begnügte sich mit einer halben Lehrstelle an der Uni, um Studenten das vorrausetzungslose Philosophieren beizubringen.

Ach ja, und da war auch noch der Bauernhof, den er zusammen mit ein paar Freunden gekauft hatte: „Wir hatten lange Haare, haben von der Revolution geträumt und in den Mond geguckt“, erinnert er sich schmunzelnd. Die Landkommune existiere auch heute noch. Jörg Stübing indes ist froh, sich damals doch wieder dem Urbanen genähert zu haben.

Zum Beispiel als Möbelträger für antikes Mobiliar, ein Job, der Sprungbrett für die nächste Station in seiner Laufbahn werden sollte. Ob er denn nicht Lust hätte, was aus einem verlassenen 200 Quadratmeter großen Hof zu machen, habe ihn der Antiquar gefragt.

Hatte er. Stü, wie er von Freunden und Stammkunden genannt wird, organisierte alte Fensterscheiben und machte sich mit einem Kumpel an die Renovierung. Aus dem Hof mit dem morbiden Charme, in dem ehemals Zahnpasta für Kinder eingetütet worden war, wurde die Galerie „Treibhaus“. „Ich bin mit dem goldenen Kämmchen durch die künstlerische Frisur Dresdens gefahren“, beschreibt Stübing bildhaft die aufreibende und nicht immer einträgliche Suche nach erfolgsversprechenden Künstlern. Vormittags fremder Leute Büros feudeln und abends Sätze von Adorno zitieren – so sah sein Alltag aus.
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Aber da lugte auch schon die nächste Chance um die Ecke – ein kleiner Buchladen, der nicht besonders lief. Ob er den nicht übernehmen wolle? Wir kennen die Antwort … „Zur Buchhandlung bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kinde“, gibt er unumwunden zu. Vielleicht aber bahnte sich auch gerade zu diesem Zeitpunkt Stübings mütterliches Erbe vollends die Bahn – hatte diese doch ihr Handwerk an der ältesten Buchhandlungsschule Deutschlands in Leipzig erlernt, jedoch nie als Buchhändlerin gearbeitet. Hätte er allerdings gewusst, auf was er sich da einlässt, wer weiß, was dann passiert wäre. „Ich kannte ja nur die Kundenperspektive – Zeit zum Lesen haben und dabei noch einen Kaffee trinken“. Eine Vorstellung übrigens, die er Praktikanten gleich am ersten Tag austreibt. Dass auch hinten im Büro noch viel Papier in Form von Rechnungen und dergleichen auf Bearbeitung wartete, hatte Stübing nicht bedacht. „Es war unerwartet schwierig“, erinnert er sich und spricht von „Monopoly mit richtigem Geld“. In Gedanken sei er schon so weit gewesen, seine Wohnung aufzugeben und ein Hochbett in der Buchhandlung aufzubauen.

Es war diese Mischung aus Naivität, Ausdauer und Engagement, die Stübing die Anfangsschwierigkeiten überwinden ließ. Der 59-Jährige erzählt von einem Erleuchtungsmoment, als ihm bewusst wurde, dass er doch gleich über drei äußerst nützliche Fähigkeiten verfügt: Verkaufstalent, das er schon beim Vertrieb der Brockhaus-Edition von Tür zu Tür unter Beweis gestellt hatte. Seine bibliophilen Kenntnisse, die er sich während des Studiums angeeignet hatte. Und die Kompetenz, lange Inhalte kurz zusammenfassen zu können. Von da an sei er entspannter geworden.

Es dauerte eine Weile, ehe Stübing den Schatten seines Vorgängers auch aus dem letzten Winkel verscheucht hatte und der Laden zu dem wurde, was er ist: ein intimes Wohnzimmer voller Bücher, das jedem Lesehungrigen das Herz vor lauter Freude hüpfen lässt. Und dies in einem linken Szeneviertel, das nach der Wende schon zum Abriss vorgesehen war und dessen Alternativkultur Stübing als ungemein bereichernd empfindet.

Sein Erfolgskonzept? Sicherlich nicht nur der rote Burmakater Myamoto Musashi, 17 Jahre lang heimlicher und viel bewunderter Herrscher in diesen vier Wänden und in dessen Nachfolge nun die graugetigerte Liv Isis Nagori.
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Eher schon die konsequente Haltung, nicht alle Moden mitzumachen. Mangas sucht man in der Buchhandlung vergebens. Stattdessen komme es immer wieder vor, dass junge Mädchen mit Hölderlins „Hyperion“ unterm Arm den Laden verließen, weil es ein Mitarbeiter wärmstens empfohlen habe. Auch eine „Wanderhure“ komme ihm nicht ins Haus. „Hape Kerkeling ist wirklich die Grenze“. Natürlich komme man um Manches nicht herum: „Wir sind ja nicht katholisch“, witzelt er, „aber ich kann nichts verkaufen, was ich nicht selbst gut finde.“ Stübings ehrgeiziges Ziel ist ein Laden „50 Plus“: Literatur, die weit über die Tagesaktualität hinausreicht und auch in den nächsten 50 Jahren noch gültig ist.

Seine Kunden möchte er zu Mitwissern machen, sie mit Vernunft und Poesie verführen. Wie auch seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Team sei er stets auf der Suche nach der Lösung, die für alle passt. „Eigentlich“, so gibt er zu bedenken, „macht der Leser sich ja nackig vor dem Buchhändler“. Dies gelte es zu würdigen. Überhaupt hält er die Leserschaft im Rückblick betrachtet für schmiegsamer und eher bereit, in sich hinabzusteigen als die Kunstkäufer, die nicht selten Oberflächenästhetiker seien. Und grinst noch fünf Minuten später: „Oberflächenästhetiker – das Wort muss ich mir merken“.

Es scheint, als wäre Jörg Stübing nach 21-jährigem Buchhändlerdasein endlich angekommen. Wobei … es gäbe da noch ein freies Eckchen – nämlich für die Musik. Der Gitarren-, Ukulele- und Mundharmonikaspieler hat ein neues Instrument für sich entdeckt: die Shrutibox. Der Faszination für dieses indische Begleitinstrument für Melodien und Gesang war er bereits vor etlichen Jahren auf seiner Hochzeitsreise erlegen. Gegönnt hat er sich die Box allerdings erst vor kurzem, nachdem eine Parkinson-Erkrankung bei ihm festgestellt worden war. Auch wenn ihn die Diagnose, mit er mittlerweile bewusst sehr offen umgeht, zunächst niedergeschmettert hat, kann Stü ihr dennoch auch eine positive Seite abgewinnen: „Sie hat mir einen neuen Weg nach oben gezeigt“. Ein neuer Deal mit der Zeit gewissermaßen.

„Glücklich wie ein Schneekönig“, dass das Instrument nun von Indien über Russland zu ihm gefunden hat, ist der 59-Jährige gerade dabei, neue Tonräume zu erkunden, um seine Zuhörer mit ungewohnten Klängen zu verzaubern.

Es war einmal ein Junge, der sollte Maschinenbauer werden. Doch das Leben hatte andere Pläne mit ihm. Wir sind nicht böse drum und sehr gespannt, was als Nächstes kommt.

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