Interview mit James Lee Burke

von Sebastian Hallmann. Der Beitrag und das Interview sind aus dem Jahr 2017, wir danken für die Erlaubnis, es hier zu posten!

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Unser heutiger Gesprächspartner ist außergewöhnlich. Anders kann ich es nicht sagen. Mit 80 Jahren zählt er nicht mehr zu den jüngsten seines Fachs, dafür allerdings zu den besten. Von der Denver Post zu Amerikas bestem Romancier gekürt und von der MWA (Mystery Writers of America) mit dem Grand Master Award für sein herausragendes Lebenswerk ausgezeichnet, kann man ruhigen Gewissens behaupten, dass James Lee Burke zu den wichtigsten Kriminalautoren der Neuzeit zählt. Seine Werke bestechen durch einen anspruchsvollen und dennoch zugänglichen, sehr bildgewaltigen Stil und es ist schwer, sich nicht von ihnen mitreißen zu lassen.

Umso schwerer war die Herangehensweise an das Interview, denn wie begegnet man einem Menschen, der 45 Jahre älter und so eine Hausnummer im Geschäft ist? Mit Respekt und so eröffnete ich das Interview mit „Lieber Mr. Burke“, nur um ihn dann auf seinen Wunsch hin Jim zu nennen. Dieser sehr sympathische erste Eindruck bestätigte sich auch in der weiteren Kommunikation, sodass ich zumindest aus dem Schriftwechsel sagen kann, dass Burke nicht nur ein großartiger Schriftsteller, sondern auch ein sehr freundlicher und bodenständiger Mensch ist.

Geboren wurde Burke am 05. Dezember 1936 in in Houston, Texas. Er studierte an der Universität von Louisiana sowie der Universität von Missouri. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit unterschiedlichsten Jobs, unter anderem als Collegelehrer, Truckfahrer, Sozialarbeiter und Büroangestellter beim amerikanischen Äquivalent zur Agentur für Arbeit.

Seinen ersten Roman, Half of Paradise, veröffentlichte Burke 1965. Anfang der 70er Jahre folgten zwei weitere Veröffentlichungen, von denen „Zeit der Ernte“ den Auftakt seiner Huckberry-Holland-Reihe darstellt. Im Original bereits 1971 erschienen, ist dieser Roman erst im Jahr 2017 von Heyne Hardcore als letzter der Reihe auch in Deutschland veröffentlicht worden. Kommerziellen Erfolg stellte sich jedoch erst Ende der 80er Jahre mit der Dave-Robicheaux-Reihe ein, die es mittlerweile auf 21 Bände bringt.

James Lee Burke ist Vater von vier Kindern. Seine Tochter Alafair veröffentlicht ebenfalls Kriminalromane. Er lebt mit seiner Frau abwechselnd in New Iberia, Louisiana und Lolo, Montana.
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Lieber Jim,
als erstes möchte ich dir dafür danken, dass du dir die Zeit nimmst, unsere Fragen zu beantworten. Es ist eine Ehre für uns, dass du zu einem Teil unserer Interview-Reihe wirst.
Auch wenn ich sicher bin, dass man dich nicht vorstellen muss, ist es doch unsere Einstiegsfrage. Wärst du so nett, dich unseren Lesern kurz vorzustellen?

Mein Name ist James Lee Burke. Ich bin ein Autor, der auf einer Ranch im westlichen Montana lebt.

Neben dem Schreiben hattest du verschiedene Jobs. Du warst Collegelehrer und Reporter. Du hast Trucks gefahren und warst Sozialarbeiter in Los Angeles. Welcher dieser Jobs war für dich der beste?

Jeder Job ist gut für einen Autor, solange er nicht müde nach Hause kommt. Es gibt eine Menge Dinge, die man tun kann, wenn man erschöpft ist, aber gut schreiben gehört nicht dazu.

Du kannst auf eine lange Karriere zurückblicken. Dein erster Roman, „Half of Paradise“ wurde 1965 veröffentlicht. Gab es diesen speziellen Moment, in dem du gemerkt hast, dass du schreiben musst? Dass es eine Art Bestimmung ist?

Ich wollte schon Autor oder Künstler werden als ich ein kleiner Junge war. Meine erste Kurzgeschichte habe ich mit Neunzehn veröffentlicht.

Obwohl du bereits seit über 20 Jahren geschrieben hast, begann deine Karriere erst Ende der 80er Jahre Fahrt aufzunehmen. Hast du je an dir oder dem, was du tust, gezweifelt? Hast du noch daran geglaubt, ein „erfolgreicher“ Schriftsteller zu werden?

In der Mitte meiner Karriere, nachdem ich drei Romane veröffentlicht hatte, konnte ich dreizehn Jahre nichts veröffentlichen. Ich habe eine wertvolle Lektion gelernt: Gib nicht auf und hör nicht auf die Schwarzseher.

Du wirst dieses Jahr 81 und veröffentlichst immer noch einen Roman jährlich. Hast du jemals an den Ruhestand gedacht?

Ich werde nie in den Ruhestand gehen und niemals aufhören zu schreiben. Wenn ich auschecke, nehme ich meinen Stift und mein Notizbuch mit.

Nach neun Jahren und 111 Ablehnungen wurde „The Lost Get-Back Boogie“ 1986 veröffentlicht und sofort für den Pulitzer-Preis nominiert. Wie hat sich das für angefühlt?

Es hat sich großartig angefühlt.

Wo wir gerade von Preisen sprechen. Du hast verschiedene wichtige Auszeichnungen erhalten, darunter den Edgar Allen Poe Award, das Gold Dagger und den Grand Master Award der MWA. Die Denver Post hat dich Amerikas besten Romancier genannt. Wie wichtig sind dir diese Auszeichnungen? Und ist es nicht schwer mit den Erwartungen der Leser und Kritiker umzugehen?

Ich habe viel Glück gehabt und wurde von all den Leuten, die du erwähnt hast, gut behandelt. Ich kann mir kein besseres Leben als das eines Künstlers vorstellen. Wie der Jesuiten-Dichter Gerard Manley Hopkins in seinem Gedicht über die schönen Dinge des Lebens gesagt hat „Blessed be God for all dappled things“ (dt: Gepriesen sei Gott für die gesprenkelte Schöpfung“).

1987 hast du “The Neon Rain”, den ersten Dave-Robicheaux-Roman, veröffentlicht. Denkst du, dass das Buch eine Art Kickstarter für deine Karriere war?

„The Neon Rain“ und die anderen Robicheaux-Romane haben mir die ersten kommerziellen Erfolge beschert und es mir erlaubt, mich ohne finanzielle Sorgen ganz dem Schreiben widmen zu können.

Ich denke, dass Dave Robicheaux deine bekannteste Figur ist. Du hast bislang 20 Robicheaux-Romane veröffentlicht, der 21. folgt Anfang 2018. Hast du schon über eine Serie nachgedacht, als du das erste Buch in den 80ern geschrieben hast?

Der erste Robicheaux-Roman war ein Experiment. Die nächsten beiden haben dann eine Trilogie daraus gemacht. Die Holland-Romane sind auf die gleiche Art entstanden: erst ein Experiment, dann eine fortlaufende Geschichte.

Dave ist ein sehr spezieller Charakter und unterscheidet sich sehr von den typischen Police Detectives, die man aus anderen Büchern und Filmen kennt. Was hat dich zu ihm inspiriert?

Ich sehe Dave Robicheaux als eine Art Jedermann-Figur in den ganzen mittelalterlichen Moralvorstellungen. Er gibt denjenigen eine Stimme, die keine haben.

Zwei Robicheaux-Romane sind verfilmt worden. Alec Baldwin hat Dave in „Mississippi Delta“ gespielt, Tommy Lee Jones übernahm die Rolle in „Mord in Louisiana“. Wer war deiner Meinung nach der bessere Robicheaux?

Ich denke, dass beide Darsteller sehr talentiert sind. Das ist alles, was sich ein Autor wünschen kann.

In vielen deiner Romane schwingt eine politische Aussage mit. „Sturm über New Orleans“ zum Beispiel erschien mir wie eine Abrechnung mit der US-Regierung für das, was nach Katrina passiert ist. „Zeit der Ernte“ ist auch heute noch sehr aktuell. Bist du eine politische Person und interessiert es dich, ob die Leute das was du schreibst ablehnen?

Ich denke, die Art, wie die Bush-Regierung New Orleans alleingelassen hat, ist das größte Verbrechen in unserer politischen Geschichte. In meinem nächsten Buch „Robicheaux“, geht es um den Aufstieg eines Diktators und Hasspredigers.

Hast du einen Lieblingscharakter aus deinen eigenen Büchern?

Sie sind alle meine Lieblinge. Polizisten, Trinker und Zocker, die ganze bunte Truppe.

Deine Tochter Alafair ist ebenfalls Krimiautorin. Liest du ihre Bücher und denkst du, dass du ihre Arbeit beeinflusst hast?

Alafair schreibt, seit sie sieben Jahre alt ist. Ihr Talent und ihre Arbeitseinstellung sind außergewöhnlich. Ich lese alles, was sie schreibt. Sie ist eine der besten Absolventinnen der Stanford Law School und hat einen IQ, der nicht gemessen werden kann. Ihre Mutter ist eine sehr kluge Person.

Was inspiriert dich zu deiner Arbeit? Und wie schaffst du es, dich nicht selbst zu kopieren, sondern mit jedem Roman eine neue Geschichte zu erzählen?

Die Geschichte ist für mich immer da. Ich glaube, sie wartet im Unbewussten darauf, erzählt zu werden. Ich schaue nie weiter als zwei Szenen nach vorn. Ich schreibe in einer Art Blackout und erinnere mich nicht einmal an die Worte, die ich verfasst habe. Ich habe diesen Prozess selbst nie verstanden. Auch wenn das vielleicht wie eine Übertreibung klingt – das ist es nicht.

Wie sieht ein normaler Tag in deinem Leben aus?

Ich arbeite die ganze Zeit. Gegen 5.30 Uhr schreibe ich, dann gehe ich noch mal schlafen und schreibe weiter, wenn ich aufwache. Ich füttere die Pferde und mache Work Out in einem Club. So geht das bis 11 Uhr abends. Ich beteilige mich außerdem an der Farmarbeit. Ich will nicht wie ein Workaholic klingen, es ist ein gutes Leben.

Wie arbeitest du? Hast du einen bestimmten Schreibplatz?

Ich habe ein schönes Büro mit Blick auf die um unser Haus liegenden Berge. Hirsche und Truthähne kommen zu den Terrassentüren und beobachten mich, als ob ich ein Ausstellungsstück wäre. Ich kenne die meisten der Tiere, die auf der Ranch leben, mit dem Vornamen. Das ist echt eine Ehre.

Wenn dir jemand sagen würde, dass er Autor werden möchte, was wäre dein erster Ratschlag?

Wenn Gott dir ein Geschenk macht, dann aus einem Grund. Steh zu deinem Talent und gib niemals auf. Vielleicht musst du dich rechtfertigen. Lächle und tritt durch den Pulverdampf, das bringt die bösen Buben auf die Palme. Schluck dein Blut und lass niemanden merken, dass du verletzt bist. Wenn es sein muss, spuck der Welt ins Gesicht.

Arbeitest du derzeit an neuen Projekten? Was erwartet deine Leser in der Zukunft?

Im Moment arbeite ich an einem weiteren Robichaux-Roman mit dem Titel Ball and Chain.

Das wäre es dann auch schon. Noch einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Die berühmten letzten Worte gehören dir. Gibt es noch etwas, was du deinen deutschen Lesern sagen möchtest?

Danke, dass ich dabei sein durfte, Sebastian. Rock on, noble mon.

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Ursprünglich erschien der Beitrag auf dem damaligen Blog „Stuffed Shelves“.
Im Folgenden ein auf der Website formulierter Hinweis:

Dieser Artikel war eine echte Gemeinschaftsarbeit. Danke an Ela, die die Fragen mit mir ausgearbeitet hat. Auch an Markus Solty, Dennis Ka, Jasmin Krieger und Andreas Arimont, die sich an der Facebook-Umfrage beteiligt haben. Für die Hilfe bei der Übersetzung möchte ich mich bei Andreas Brandhorst und Markus Mäurer bedanken. Vielen Dank an David Gray und seine Kontakte beim Pendragon Verlag sowie Katharina Wiesner vom Heyne Verlag für die Autorenfotos.

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