Autorenportrait: Hans Herbst

Von Claudia Werning
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„Was haben Sie…? Pfeifen weggeworfen…? Das ist Barbarei!“

Auweia – Das fängt ja gut an. Kaum da und schon einen Satz heiße Ohren eingefangen!

Ich bin zu Besuch bei Hans Herbst, seines Zeichens Schriftsteller und Musiker und ein Mensch, dessen Leben in keine Schublade geschweige denn zwischen zwei Buchdeckel passt. So humorvoll der mittlerweile fast 81jährige auch ist – da hört der Spaß auf bei ihm. Schließlich ist der passionierte Pfeifen- und Zigarrenraucher nicht nur Mitglied des britischen Pipe Club, sondern nennt auch eine stattliche Sammlung teils antiker Pfeifen sein Eigen, die jeden Betrachter nur ehrfurchtsvoll staunen lässt.

Die erste Pfeife kam übrigens von seiner Mutter. Um ihn weg von den Zigaretten zu bringen…

Und schon sind wir in den Kinder- und Jugendtagen des Künstlers, die sich anfangs so gar nicht von denen seiner Zeitgenossen unterschieden und auch nicht im Leisesten ahnen ließen, welch ungewöhnlichen Verlauf sein Leben einmal nehmen würde.

Wir schreiben den September 1941, als die abenteuerliche Reise des Hans Herbst in St. Pauli ihren Anfang nimmt. Doch schon kurze Zeit später wird die Familie nach den schweren Bombenangriffen auf Hamburg nach Garstedt evakuiert. Eine eiligst errichtete Barackensiedlung wird zum neuen Wohnort, aber nie zu einem Zuhause. Dass man den Buttje dort nicht haben will, genauso wenig wie die übrigen Flüchtlinge, begreift der kleine Junge schon bald.

Mit Grausen erinnert sich der 81jährige auch an die Schulzeit. Anfangs durchaus eifrig dabei, begegnete er Lehrern, die ohne Rohrstock nicht auskamen und jegliche Lernfreude und Wissbegierde aus den Kindern herausprügelten.

Die die Jungen und Mädchen so lange triezten, bis das Setzen ohne Stuhlgeklapper funktionierte.

Oder die Schüler beim Schopf packten und Haare gleich büschelweise herausrissen. Das Entsetzen und die Wut darüber stehen Hans Herbst noch heute ins Gesicht geschrieben.

Wie anders wäre sein Werdegang gewesen, hätte schon damals jemand sein zeichnerisches Talent entdeckt – immerhin hatte er bis dahin bereits sämtliche Familienmitglieder portraitiert?

Oder seine musikalische Begabung – dienten eine Blechkiste und selbstgeschnitzte Holzstäbe schon früh als Trommel. Aber da war niemand, der dem 15jährigen aufgezeigt hätte, wie er mit seinen Gaben hätte Geld verdienen können. Ganz abgesehen davon, dass der Besuch einer Kunst- oder Musikschule angesichts fehlender finanzieller Mittel sowieso illusorisch gewesen wäre.

So wurde der junge Mann Autoschlosser – aus Verlegenheit. „Um meiner Mutter zu ersparen, dass sie den Nachbarn erzählen müsste, ich sei nur Hilfsarbeiter.“
Drei verschenkte Jahre, wie Hans Herbst auch heute noch immer findet. Doch wäre er ohne die italienischen Kollegen, die dem sprachbegabten Jungen nebenbei erste Brocken beibrachten und zu einem Trip nach Italien animierten, auf den Geschmack der großen weiten Welt gekommen? Wer weiß…
Einen fertigen Plan hatte er jedenfalls nicht; nur dass er weg wollte, das wusste er genau.

Weg aus dem Dorf, das nie Heimat wurde.

Weg aus der Siedlung in einer Zeit, in der Freddy Quinn aus dem Radio schmachtete und Peter Kraus sich für den deutschen Elvis Presley hielt.
Und kaum hatte er den Gesellenbrief in der Hand, packte der junge Mann seine Siebensachen und verschwand nach Hamburg. Die berühmt-berüchtigte „Palette“, eine Kellerkneipe, wurde sein Zufluchtsort. Hier trafen sich nicht nur Künstler und Kleinkriminelle, sondern sammelten sich auch Ausreißer und Nonkonformisten aus ganz Deutschland. Ein Ort, an dem man nicht blöde angemacht wurde, wenn man Glatze und Bart trug. Und schon lange vor den 68ern nachfragte, was „die da oben“ denn eigentlich während der Nazi-Zeit gemacht haben. Dieser wache Blick auf das, was seine Mitmenschen umtreibt, kennzeichnet viele der Geschichten, die Hans Herbst später zu Papier bringen sollte…

Ans Schreiben dachte er damals allerdings noch nicht. Eher ans Musikmachen – hatte er Blechkiste und Trommelstöcke doch mittlerweile gegen das von Onkel Paul geerbte Schlagzeug ausgetauscht. Und da war auch noch das schöne Mädchen, das nach Frankreich verschwand, das er suchte und wiederfand, ohne ein Wort Französisch zu sprechen.

Nicht die einzige Liebe in seinem Leben…

Aber auch ein Abenteurer braucht Kohle, und so verdingte sich der junge Mann immer überall dort, wo es etwas zu tun gab und er seinen Kopf beim Pförtner abgeben konnte. Lang ist die Liste der Jobs, die Herbst erledigt hat. Rüben pflanzen beim Bauern, Eisen flechten auf dem Bau, Kran fahren, Steine schleppen, Dieselmotoren reparieren, kellnern…

Und so lang die Reihe an Hilfsarbeiten, so vielzählig sind auch die Stationen, an denen Hans Herbst auf seinem Trip nach irgendwo einen Zwischenstopp einlegte. Immer gab es da eine Ausfahrt, die verlockender schien als der Weg geradeaus. Weil damals erst mal alle nach Paris mussten, wegen der Kunst und so, zog es auch den Hamburger Jungen dorthin – Übernachten unter Brücken, in schäbigen Absteigen und kurzzeitig auch hinter schwedischen Gardinen inklusive.

Nächster Abstecher war dann München. Die selbsternannte Weltstadt mit Herz hätte fast das Zeug zur Endstation gehabt. Der „Playboy“, damals nicht nur für die Nackedeis, sondern auch für seine umfangreichen Reportagen gerühmt, hatte zwei seiner Stories veröffentlicht und ihm angeboten, Reportagen zu schreiben. Der erste Auftrag: eine Story über Catcher. „Ich hatte keine Ahnung, wie so etwas geht und bin einfach ins kalte Wasser gesprungen“, denkt Hans Herbst zurück. Weitere Geschichten folgten, aber ein Engagement auf Dauer konnte er sich nicht vorstellen, auch wenn er sich noch mit Stolz an eine Veröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung erinnert: „Für den Beruf war ich einfach viel zu schüchtern.“ Und gleichsam als Beleg führt er eine Begegnung mit dem großartigen Schriftsteller Elias Canetti an, der eines Tages mit seiner Entourage in einem Restaurant auftauchte. „Ich bin sofort nach Hause gelaufen, um ein Buch zum Signieren zu holen. Aber später alleine mit ihm sprechen – das habe ich mich nicht getraut“, gesteht der Vielbelesene.

Zum anderen gab es da neben einer Imbissbude aber auch noch die Weinhandlung, die Hans Herbst in München festhielt. „Wieder einmal pleite“ sollte er für einen befreundeten Antiquitätenhändler beim Bau einer Weinhandlung helfen – die er dann am Ende gleich selbst pachtete. Als Norddeutscher mit null Ahnung von Wein. Aber wozu gibt es schlaue Bücher?

Die brauchte er auch für seinen nächsten Abzweig nach Mexiko. „Kannst du nicht einen Oberbeleuchter mit Spanischkenntnissen gebrauchen?“ lautete die nicht ganz ernst gemeinte Frage an einen Bekannten. Als vier Wochen später das Bavaria Filmstudio tatsächlich anrief und einen ebensolchen Posten zu vergeben hatte, zögerte Herbst nicht lange und sagte zu. Ohne ein Wort Spanisch zu können. Aber wozu gab es schlaue Bücher? Und die wunderbare Chilenin Anna Maria…
Die Geschichte, die er über diese Dreharbeiten erst im vergangenen Jahr geschrieben hat, nachzulesen in „La Sonrisa“, gehört für mich mittlerweile zu seinen schönsten.

Von Mexiko war es dann nur ein Katzensprung nach Puerto Rico – nur wegen der Salsa-Musik. Und als er dort in einer Illustrierten einen Bildbericht über Brasilien las, stand das nächste Reiseziel dann auch gleich fest.

Und da war es endlich – das Land aller Sehnsüchte und Träume! Endlos weiße Sandstrände, schöne Frauen und diese wunderbare Musik. Hans Herbst wusste sofort: Hier gehöre ich hin. „In Brasilien passiert jeden Tag etwas wirklich Schönes“, hat er später mal gesagt.

Trotz alledem – so sehr er sich Land und Leuten verbunden fühlte, so viel Zeit er dort auch verbrachte – bleiben konnte er nicht. Die Armut mit ansehen zu müssen und letztendlich nichts dagegen tun zu können, das hat er nicht ertragen. Auch wenn ihn das Fernweh, respektive Heimweh, förmlich zerriss.
Auch Cuba, wohin der Globetrotter und Lebenskünstler mehrfach reiste, um Conga-Unterricht zu nehmen, entpuppte sich nicht als ernstzunehmende Alternative. Genau so wenig wie New York, wo es Jazz rund um die Uhr gab und Hans Herbst die von ihm verehrten Großmeister wie Mongo Santamaria, Jerry Gonzales und Tito Puento in unzähligen Clubs persönlich kennenlernen durfte.

So kehrte der Weltenbummler irgendwann zurück nach Hamburg, wo er seiner Meinung nach aber auch nicht hingehört. Im Gepäck die Conga-Trommeln, die heute noch in der Wohnküche stehen. Wenn es so etwas wie Heimat geben sollte in seinem Leben, dann ist es vermutlich die Musik. Sie bedeutet dem fast 81jährigen alles: „Ohne Musik gibt es kein Leben, ohne Musik wäre ich tot.“ Dass er schwarze GIs in Münchner Clubs mit seinen Trommeln begleiten durfte und sie ihn „brother“ nannten, dass er die komplizierten südamerikanischen Rhythmen nach vielen frustrierenden Anläufen schließlich so gut beherrschte, dass die Rumberos und Soneros ihm, dem Aleman, ein Lob zollten, bedeutet Hans Herbst unendlich viel. Und dass Sohn und Enkel seine musikalische Leidenschaft und vor allem die Liebe zum Jazz teilen und gelegentlich für eine Session vorbeikommen, macht ihn glücklich.

„Ich hatte viele schöne Zeiten“, sinniert der Künstler, „und meine schönsten Erlebnisse verdanke ich Frauen.“

Mir kommt ein Zitat von Wilhelm von Humboldt in den Sinn: „Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“ Reich an Begegnungen ist dieses Leben des Hans Herbst ja nun wahrlich.

Mit heißen Ohren, dieses Mal aber vom Zuhören, und einem Lächeln im Gesicht stehe ich kurze Zeit später wieder auf der „spießigen und ereignislosen Straße“ vor seinem Haus. Wenn die Leute wüssten, welch famoser und faszinierender Geschichtenerzähler sich hinter diesen unscheinbaren Fassaden verbirgt…

Pendragon

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