„Käsetheke“ von Alexander Häusser

Eine Kurzgeschichte über eine kurze Liebe, die einen wehmütig werden lässt, geschrieben von unserem Autor Alexander Häusser:

>>Ein alter abgeschabter Sessel, ein Bett, mein Bücherregal und der Klapptisch am Fenster. Mehr stand nicht in dem kleinen Zimmer mit Blick auf die S-Bahn Station. Ein Provisorium – bis ich etwas besseres gefunden hätte, in der fremden großen Stadt. Nicht mehr als eine billige Notunterkunft; wie der überdachte Bahnsteig, den ich abends vor Augen hatte, wenn ich von den Büchern aufsah, aus dem Fenster blickte und auf Anschluss wartete.
Tagsüber an der Uni, mit eingezogenem Kopf; ein paar Worte mit irgendwelchen Kommilitonen beim Essen, manchmal ins Theater. Aber nichts ergab sich – außer dem Gefühl, selbst in einem Stück zu sein. Eine kleine unbedeutende Rolle in einer modernen Inszenierung; einer, der rumsteht – auf dem leeren grellweiß ausgeleuchteten Bahnsteig, vor einer Wand an der bunte Streifen halb abgerissener Plakate hängen. Bis spät in die Nacht knallten die Wagentüren zu, noch bevor die Lautsprecher warnten: „Zurückbleiben, bitte!“
Mein Trost in einsamen Stunden war allein der Supermarkt um die Ecke.

Es kümmerte den Supermarkt nicht, wie es mir ging oder was ich mir wünschte. Sein Neonlicht trotzte den Tages -und Jahreszeiten und die Spiegelflächen den Kundenzahlen. Der Markt genügte sich selbst. Das beruhigte und erfrischte mich gleichermaßen. Aber vielleicht – das denke ich heute – war es auch von Anfang an weniger der Markt gewesen, der mich so angezogen hatte, als vielmehr Frau Behr. Frau Behr an der Käsetheke.
Susanne wurde sie von den Kolleginnen gerufen, und bei Kunden, die sie offenbar nicht leiden konnte, vergaß sie regelmäßig, Trennfolien zwischen die Scheiben Butterkäse zu legen. Ich mochte Susanne, und schließlich ging ich montags nicht mehr einkaufen, weil das offenbar ihr freier Tag war.

Wir lächelten uns immer nur an, und sie trennte besonders sorgfältig meine Käsescheiben. Ich berate gern stand auf ihrer Kittelschürze, im Schriftzug und in der Farbe des Unternehmens – und irgendwann, aus einer guten Laune heraus (ich hatte gerade die Zwischenprüfung bestanden) bat ich sie, mir doch einen Rat zu geben, wie ich sie wohl näher kennenlernen könnte.
Ich erschrak über mich selbst. Aber sie freute sich. Sie sei auch nicht von hier, sagte sie, und habe sich schon überlegt, einen Kurs an der Volkshochschule zu belegen, um Leute kennenzulernen.
„Was denn für einen Kurs?“
„Ach, egal.“
Sie wog den Tilsiter ab und wir verabredeten uns für den Abend.

Ich stand nach Ladenschluß am Personaleingang neben der Laderampe. Susanne kam als letzte heraus, alleine – keiner rief ihr „tschüß“ nach. Sie wollte sofort zu mir gehen; ich war völlig überrumpelt.

Ab diesem Moment waren wir zusammen, ein Paar sozusagen – ohne uns dafür entschieden zu haben. Alles war selbstverständlich. Es schien mir normal, daß sie sich in meiner Bude angekommen zuerst mit dem Waschbecken beschäftigte. Susanne ließ warmes Wasser einlaufen, löste darin Seife auf und streckte ihre Hände hinein bis sie rosa und schrumpelig waren. Die Kälte und der Geruch der Käsetheke, erklärte sie, anders werde sie das nicht los.
Wir schliefen miteinander, aber vor allem lachten wir zusammen. Wenn ich zu ihr rein wollte, hob sie den Kopf und rief: „Zurückbleiben, bitte!“; lagen wir nebeneinander und versuchten, über unser Leben zu reden, sagte sie: „Ich habe nichts zu erzählen, mein Leben ist Käse“. „Das gibt es nicht“, sagte ich, „jeder hat etwas zu erzählen.“ Und als ob ich das beweisen müsste, nahm ich ein Buch meines Lieblingsautoren aus dem Regal und schlug es an einer x-beliebigen Stelle auf.
„Der schreibt nur über sich und was er so erlebt und das hört sich so an.“
Susanne setzte sich auf, schob sich ein Kissen in den Rücken und ich las vor:
„Ich blieb die ganze Nacht bei ihr. Wir suchten einander, waren vollkommen offen füreinander, alles war erfüllt von Licht. Ich hatte Schmerzen vor lauter Glück, denn ich hatte sie, sie war da, die ganze Zeit. Die ganze Zeit war sie da und umgab mich, und ich hatte Schmerzen vor Glück, und alles war erfüllt von Licht. So fantastisch kann das Leben also sein. So fantastisch kann es sein zu leben.“
Triumphierend blickte ich vom Buch auf. Susanne weinte.
Unser Leben spielte sich in meiner Bude ab. Wir gingen selten aus – und Ausgehen war die Pizzeria um die Ecke. Theater konnte sie nicht leiden. An den Wochenenden fuhr sie regelmäßig nach Büsum zu ihren Eltern. Susanne fand es schrecklich, nie Vater und Mutter besuchen zu können. Oft sah sie sich kopfschüttelnd mein Familienfoto an, als wäre es unvorstellbar, daß auch ihre Eltern einmal sterben würden. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagte ich dann – oder: „Das ist der Lauf der Zeit“. Je länger wir uns kannten, umso häufiger sprach ich in Allgemeinplätzen, und ich ertappte mich dabei, Susanne zu den einfachen Leuten zu zählen. Ich spürte Vorbehalte – Vorbehalte und ein Mißtrauen. Ich kam zu der festen Überzeugung, daß sie mich in Büsum mit einem anderen betrügt, vielleicht sogar einen festen Freund hat. Ich durfte sie nie begleiten – sie war um Ausreden nicht verlegen. Das elterliche Haus sei zu klein, die Familie zu prüde.
„Warum bist Du denn überhaupt nach Hamburg gekommen, wenn Du so an Deinen Eltern hängst?“
„In Büsum gab es keine Arbeit.“
Montags fühlte sie sich ganz anders an.

Ich zog mich immer mehr zurück; gab vor, keine Zeit zu haben – schließlich war ich ja wegen meines Studiums hier. Vierzehn Tage bevor wir uns trennten, ohne es entschieden zu haben, fragte sie mich, ob ich mir Kinder wünschte. Wir hatten einen Ausflug ins Alte Land gemacht, saßen auf einer karierten Wolldecke unter Apfelbäumen. Auf der Elbe zogen Containerschiffe vorüber und neben uns schaukelte ein Vater seinen Kinderwagen.
„Lieber würde ich mit so einem Schiff abhauen“, sagte ich, obwohl es nicht stimmte. Ich konnte nicht ehrlich sein. Später fiel mir ein Satz meiner Mutter ein: Um nicht zu lügen, muß man die Wahrheit erst mal kennen.

Als ich mit meinem Studium fertig war, ging ich noch einmal in den Supermarkt – ich weiß nicht warum. Bis dahin hatte ich den Käse woanders gekauft, weil ich ihr nicht mehr begegnen wollte. Sie war fort. Eine andere Frau trug die weiße Kittelschürze. Und an eine Susanne konnte sie sich nicht erinnern.<<

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