Interview mit Wolfgang Wissler zu „Straffers Nacht“

Ein früherer SS-General fristet ein düsteres Dasein als Nachtwächter im Deutschland der Nachkriegszeit. Was hat Sie dazu bewogen, „Straffers Nacht“ zu schreiben?

Vor allem war es der Gedanke, dass in den 1960er-Jahren, also auch in meiner Kindheit, die Mörder unter uns waren: Männer, die unter Hitler schreckliche Massaker begangen hatten und nun unauffällig, nett und freundlich Nachbarn waren, verlässliche Kollegen, engagierte Vereinsvorstände. Wie konnte das sein? Wie konnten diese Männer mit ihren Taten leben? Und was geschah, wenn sie sich gegenseitig erkannten? Was sprachen sie? Fielen dann die Masken?

Ein dunkler Stoff, erzählt aus der Perspektive eines Täters – war es schwierig, für Straffer eine Stimme zu finden? Wie sind sie an die Charakterisierung herangegangen?

Da hat sich vieles beim Schreiben ergeben, und manchmal war ich selbst überrascht von Straffers Verkommenheit. Zum Beispiel, einerseits die Einsicht in die Bestialität seiner Taten und andererseits seine Brutalität, wie sie sich etwa in den knappen Sätzen zu den ermordeten Familien Kafkas und Freuds zeigt.


Sicher haben Sie für den historischen Roman viel Recherche betrieben. Wo haben Sie sich Ihre Informationen zusammengesucht?

Über den Nationalsozialismus habe ich immer viel gelesen und viel diskutiert. Aber da ist ein Buch, das ich doch hervorheben möchte und das mir besonders beim Kapitel über die in Luxemburg internierten NS-Kriegsverbrecher sehr wertvoll war: „Nürnberger Tagebuch“ von Gustave M. Gilbert. Er war Gefängnispsychologe und betreute während des Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozesses Göring, Frank, Ribbentrop, Speer, Kaltenbrunner und all die anderen. Der Satz vom Blick in den Abgrund wird ja überstrapaziert. Aber in diesem Fall trifft er zu.

Sind Ihnen bei der Recherche vielleicht sogar Informationen untergekommen, die Sie sehr überrascht haben?

Ja. Zum Beispiel, wie schamlos auch in der Filmbranche vielen Regisseuren, Schauspielern und Drehbuchautoren die Wende gelungen ist. Beispielhaft zeige ich das im Buch anhand der „Winnetou“-Verfilmungen. Und ich denke da an Leute wie Heinz Rühmann, Marika Rökk, Alfred Weidenmann oder den späteren „Derrick“-Autor Herbert Reinecker. Gestern dafür, heute dagegen, offenbar wenig zu bereuen. Hauptsache, die Show geht weiter. Viele Nachkriegsfilme werden so zu einer Halde der Verlogenheit.

Das Werk behandelt viele kontroverse Themen und bringt einiges ans Licht. Was war Ihnen beim Schreiben besonders wichtig, herauszustellen?

Besonders wichtig war und ist mir zu sagen, dass wir Deutschen sehr wohl weiterhin eine besondere Verantwortung tragen. Das bedeutet, auch mehr Hilfe zu leisten als andere Nationen und nicht allzu sehr zu klagen, was uns da wieder angetan wird. Uns wurde eine zweite Chance gegeben, die damals gewiss nicht jeder Deutsche verdient hatte.

Eine unglaubliche Enthüllung im Roman ist die, dass kurz nach dem Ende des Krieges einige NS-Größen in einem Kurhotel untergebracht waren und es sich dort haben gut gehen lassen. Wie haben Sie diese Details recherchiert?

Diese Bad-Mondorf-Episode ist nicht neu, ich möchte mich da keinesfalls mit fremden Federn schmücken. Aber es hat mich schon gewundert, dass sie bisher nicht – wenigstens meines Wissens nicht – in einem Roman oder Film behandelt wurde. Das ist doch grotesk: Die überlebenden Hauptkriegsverbrecher – Göring, Ribbentrop, Frank, Jodl, Streicher und andere – relaxen im sonnigen Hotelpark, gehen spazieren und genießen abwechslungsreiche und üppige Mahlzeiten inklusive Süßspeisen, während ihre überlebenden Opfer hungern und darben. Was sie wohl in ihren Mußestunden geredet haben? Das hat meine Fantasie schon sehr angeregt.


Sie sind hauptberuflich Journalist – hat Ihnen diese Tätigkeit dabei geholfen, den Roman zu schreiben?

Das Training als Tageszeitungs-Redakteur hat schon seinen praktischen Nutzen. Wer um 9:30 Uhr bei Null anfängt und abends um 18 Uhr 350 Zeilen zu einem schwierigen Thema abliefern muss, hat weder Zeit noch Verständnis für Schreibkrisen. Das hilft auch beim Romane schreiben. Da ist eine Hürde, okay – aber heute Nachmittag bin ich drüber.

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