Gottes Fehler und Teufels Beitrag?

Ein paar Fragen zum weiblichen Bösen in der populärkulturellen Fiktion

Muss ja nicht immer Friede, Freude, Spiegelei und Sonnenschein sein. Daher kein Problem wenn hier und jetzt einige Fragen über das Böse aufgeworfen werden. Genau, das Böse, jenes mit einem großgeschriebenen B.
Was ist das Böse? Was ist ein Schurke oder Bösewicht? Was macht ihn aus? Zumindest in der Fiktion, in Büchern, Filmen, Comics, TV-Serien, Songs – eben allem, was man so als Populärkultur bezeichnet.
Die Antwort darauf, was das Böse sei, ist in der Realität so komplex, dass die größten Denker des Abend- und Morgenlandes bis heute noch keine rundum gültige Antwort darauf liefern konnten. Da hier nicht genug Raum ist, all die Thesen der wirklich begabten Denker und Philosophen zu diskutieren, spart sich der Autor einen Tieftauchgang in die Philosophie und stellt zunächst fest: Ein Schurke kennzeichnet sich dadurch, dass er anderen aus rein selbstsüchtigen Motiven Schaden zufügt und sich dessen dabei auch klar bewusst ist.
Das Böse setzt also zumindest in der Fiktion eine Entscheidung voraus. Den freien Willen eines Protagonisten dazu, etwas nach allgemein gültigen moralischen Wertmaßstäben Verwerfliches und Verachtenswertes zu tun. Daher gilt, was den Schurken vor allem zum Schurken qualifiziert, sind eben nicht nur seine verwerflichen Taten, sondern mindestens ebenso sehr, wenn nicht in stärkerem Maße auch die Motive, welche diese Handlungen auslösen. Das gilt wohl sowohl für reale Schurkengestalten als auch für die fiktiven, um die es hier gehen soll.
Terry Eagleton, britischer Bestsellerautor, behauptete in seinem Buch „Evil“, das Böse hätte einst sogar eine Nationalität gehabt. Seiner Meinung nach war es mal französisch. Weshalb? Weil einer der Meister des (literarischen) Bösen, nämlich der Marquis de Sade Franzose war. Man erinnert sich, das war der Mann nach dem man – fälschlicherweise! – den Sadismus benannte und der mit seiner Romanfigur Juliette, der Gestalt der Femme fatale zu einem ersten und recht lang anhaltenden Boom in der Fiktion verhalf.
Aber der Kollege Eagleton meinte damals seine Aussage gar nicht so tierisch ernst. Das Böse in der Fiktion hat natürlich weder eine Nationalität, noch spricht es nur in einer Sprache. Trotzdem scheint sich ein seltsames Phänomen in der Darstellung des Bösen in der Popkultur abzuzeichnen. Denn offenbar waren und sind die überwiegende Anzahl klassischer fiktiver Schurkenfiguren männlich.
Das fängt bei Kain in der Bibel an, zieht sich dann weiter über Herodes, Pontius Pilatus und dem vielleicht eher allzu menschlichen Verräter Judas. Auch Satan, die einflussreichste Verkörperung des Bösen in der westlichen Zivilisation überhaupt, ist männlich. Und sollte in irgendeiner Popkulturnische doch mal einer Teufelin mehr als nur eine Statistenrolle zugestanden werden, können Leser und / oder Zuschauer beruhigt davon ausgehen, dass sie nur eine Untertanin ihres garantiert machohaften männlichen Höllenoberfürsten ist.
Geht man von der Bibel noch etwas weiter in der Zeit zurück wird die Ausbeute an populären weiblichen Schurken zwar reichlicher, als im Buch der Bücher, aber so richtig die Waage zu den männlichen Bösewichten auszugleichen vermögen all die antiken Schurkinnen auch nicht, obwohl einige von ihnen schon eindrucksvoll sind und ihren Schatten weit in die aktuelle Populärkultur werfen.
Medea, zum Beispiel, setzte ihren untreuen Königsgatten durch den Mord an den gemeinsamen Kindern in Kenntnis darüber, dass sie nicht happy war, dass er sie gegen eine jüngere Prinzessin auszutauschen versuchte. Bevor sie die Kinder tötete entledigte sie sich der Rivalin durch das Geschenk eines vergifteten Hochzeitskleids. Der Dichter Heiner Müller nennt sie „die Kennerin der Gifte“. Da war eindeutig etwas dran.
Medea galt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als einer der Urtypen des weiblichen Bösen überhaupt. Sie könnte sich auch heute noch ad hoc als Hollywood-Superschurkin qualifizieren. Sogar das Motiv ihrer Tat ist oberflächlich betrachtet eines, das als so genannter „niederer Beweggrund“ und damit eindeutiges Mordmerkmal durchgeht, denn sie tötete ihre Kinder und die Rivalin aus Eifersucht auf ihren untreuen Gatten. Es ist aber auch, zumindest im Originalmythos, den Euripides und seither so ziemlich jeder Stückeschreiber und Dichter von Rang für seine Zwecke ausbeutete (unter anderem auch ein gewisser Doktor Freud, der im Grunde ja auch nur ein Dichter, Träumer und Umdeuter antiker Mythen war), nicht ganz klar auszumachen, ob Medea zum Zeitpunkt ihrer Tat zurechnungsfähig war oder nicht. Was einen der Punkte darstellt, dem sie wohl ihre anhaltende Faszination als Figur verdankt. Göttervater Zeus, notorischer Fremdgänger und Serienvergewaltiger, jedenfalls fand Medea so faszinierend, dass er sich viel Mühe gab sie begatten zu dürfen. Wenn Heiner Müller Medea als „Kennerin der Gifte“ betitelt, so hat das seinen guten Grund, denn Medea stammt aus einem Land am Rande der zivilisierten Welt, wo man seltsamen Göttern huldigt und, so darf man es den Andeutungen entnehmen, die Frauen alle mehr oder weniger im Hexenwerk und den geheimen Kräften der Kräuter bewandert sind. Medea ist also nicht nur stolz, eifersüchtig, entschlossen und stammt aus einer Nation mysteriöser Barbaren, sie ist auch eine Art Hexe, die ihre Künste sowohl dazu einsetzt Menschen zu heilen, wie Hochzeitskleider in Giftfallen umzuwandeln. Auch das muss ein Punkt sein, der zu ihrem großen Erfolg und Einfluss als Figur beiträgt.
Verwandte der Mythen sind die Volksmärchen und dort tauchen immerhin auch einige eindrucksvolle weibliche Bösewichte auf. Kleines Figurenrätsel gefällig? Zwei Geschwister im Wald und ein Backofen, der von einer älteren Dame bedient wird, die damit nicht nur Brot bäckt? Dann eine Giftmörderin mit einer Vorliebe für Spiegel? Oder wie wäre es mit einer ziemlich intriganten Stiefmutter, die ein unerwartetes Schuhproblem plagt?
Märchen gründen auf Erfahrungen und wiederkehrenden gesellschaftlichen Problemen, kann es Zufall sein, dass in antiken Mythen und Märchen die weiblichen Bösewichte weitaus öfter thematisiert wurden als in unserer aktuellen Unterhaltungskultur? Woran liegt das? Die Vorlagenkerne für fiktionale weibliche Schurken sind heute noch genauso reichlich vorhanden wie im frühen Mittelalter, als die meisten der populären Märchen in ihrer heute bekannten Form entstanden, oder der Antike, die die großen Mythen hervorbrachte und das Theater, in dem Aischylos und andere sie feierten. Intrigante Schwiegermütter, rachsüchtige Kaufmannsgattinnen oder eifersüchtige Ehefrauen mit einem Hang zum übertriebenen Aktionismus und Tabubruch, existieren heute auch noch. Und zwar reichlich. Die Figur der zum Stalking neigenden Geliebten eines verheirateten Mannes auf sexuellen Abwegen wird zwar seit dem irren Erfolg des Films „Fatal Attraction“ vom Ende der Achtziger Jahre immer noch gern in B-Pictures gebracht und geistert auch weiter regelmäßig durch die Krimiliteratur. Aber diese dort gestalteten Damen fallen eher unter den Begriff der Femme fatale, nicht der wirklichen Schurkinnen, denn dazu ist der Tabubruch, den sie begehen, im Grunde zu banal.
Banalität in Denken, Handeln und Motiven aber ist der Todesstoß für jede wirklich eindrucksvolle Schurkin. Selbst Mord zählt in Kino, Romanen und TV-Filmen inzwischen ja längst zum Standard und es eben beileibe nicht jeder x-beliebige Mörder oder jede x-beliebige Mörderin gleich in die Riege der gut gelungenen Schurken schafft. Dazu braucht es, wie gesagt, schon einiges mehr.
Dieses Mehr an Charisma und Entschlossenheit bringt eine gewisse Lady Macbeth durchaus mit. Sie ist Urahnin und dunkle Heilige aller, die so gern behaupten, hinter jedem großen Mann, jeder grandiosen Karriere stehe immer auch eine zu (fast) allem entschlossene Frau, die den Träger dieser Karriere genährt, gestützt und ihm über so manches Hindernis geholfen hätte. Die schöne intrigante Lady ist wirklich eine Schurkin. Ihre Tragik liegt darin, dass der Mann, den sie vom Heerführer zum König machte, sich letztlich als zu klein für die Krone erwies, die sie ihm zuschanzte.
Dennoch, so oft die Lady seit Shakespeares Zeiten auch kopiert, weiter verfeinert, interpretiert, verwandelt und neu erschaffen worden ist – „MacBeth“ stammt aus dem Jahr 1606. Das ist verdammt lang her. Und seither wurde die Ausbeute an wahren weiblichen Schurken dünner und dünner.
Dabei ist der Ausstoß an Romanen, Bildgeschichten, Filmen, Songs und narrativen Spielformen heutzutage so gigantisch wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, was grundsätzlich den Mangel an die Popkultur nachhaltig prägenden weiblichen Schurken nur umso unverständlicher macht.
Spricht man in Kreativkreisen Frauen heute etwa den Willen zur bösen Tat bereitwilliger ab, als man es im frühen Mittelalter während der Entstehung der Volksmärchen oder gar dem noch weiter zurückliegenden Zeitalter eines Apollon oder einer Athene tat?
In der Kriminalstatistik tauchen Frauen generell eindeutig seltener auf als Männer. Dort sind Frauen in überwältigender Zahl als Opfer registriert, nicht Täterinnen. Sowieso neigen Männer statistisch deutlich häufiger zu exzessiver Gewalt als Frauen. Und übertriebene Gewaltanwendung ist schließlich eines der Merkmale des Bösen, oder? Aber dass es keine fliegenden Drachen oder Einhörner gibt, hat bisher die Fantasie des schreibenden Volks nicht davon abgehalten ihre Bücher, Serien, Kinofilme trotzdem damit zu bevölkern. Und zwar sehr zur Freude und Faszination des Publikums.
Nur bei den weiblichen Bösewichten hält man sich so erstaunlich zurück.
Immerhin ein sehr gelungener weiblicher Bösewicht sticht aus der Popkultur der letzten 20 Jahre hervor. Sie liebt Spitzenplatzdeckchen und Katzenbildchen und taucht im Harry-Potter-Universum auf. Ihr Name: Dolores Umbridge, erste Untersekretärin im Zaubereiministerium und spätere Quasi-Diktatorin von Harrys Internatsschule Hogwarts. Dolores vertritt die Auffassung „Progress for the sake of progress must be discouraged“ – Fortschritt um des Fortschritts willen, ist zu unterdrücken.
In der Verfilmung sieht Dolores aus wie eine etwas verrutschte Kopie der Queen, trägt bevorzugt pinke Kostümchen und dekoriert ihr Büro mit jenen kitschigen Katzenbildchen auf Porzellanwandtellern, die zu einem ihrer Wahrzeichen werden. Dolores hat die ganz tiefen Teller nicht erfunden, aber sie ist geübt in der Handhabung bürokratischer Waffen. Denn, kurz vorm Ende ihrer diktatorischen Herrschaft über Hogwarts, hat sie Schüler und Lehrkörper mit so vielen verschiedenen Erlassen traktiert, dass sie selbst den Überblick darüber zu verlieren droht.
Was Dolores so heraushebt ist, dass sie äußerlich zwar mit allen Attributen einer Dame ausgestattet ist, die Miss Marples harmlosere Schwester sein könnte, doch sich hinter ihrer Fassade eine Persönlichkeit verbirgt, die all das, wofür nette ältere Damen sonst so stehen, absichtlich ins grotesk Böse überhöht.
Erschaffen hat sie natürlich J. K. Rowling, eine Frau, die jedoch auf Anraten ihres Erstverlags ihren Namen auf dem Buchcover nicht ausschrieb, so dass man sie anhand ihrer Initialen durchaus für einen Mann halten konnte. Jedenfalls bis zu dem Moment, als Harry Potter und dessen Erfinderin zum weltweiten Mediensuperstar wurden.
Man könnte in einer Galerie der Schurkinnen auch Cruella de Vil anführen, die aus Überheblichkeit heraus süße kleine Dalmatiner zu einem Pelzmantel verarbeitet sehen möchte und damit ziemlich uncharmant herüberkommt, traut man Frauen doch beim Anblick von Hundewelpen rein erfahrungsgemäß eher zu in Tränen der Rührung auszubrechen, als die sofort in einer zukünftigen Rolle als Pelzmantelmaterial zu sehen. Aber Cruella bleibt als Figur zu oberflächlich, zu cartoonesk, um es wirklich in die Spitzenriege der seltenen weiblichen Schurken zu schaffen.
Auch Miranda Priestly, die Chefredakteurin aus „Der Teufel trägt Prada“, hat zwar ihre Spuren in der Popkultur hinterlassen und ist so intrigant, elegant und skrupellos wie man sich einen weiblichen Schurken überhaupt nur wünschen könnte, aber ist sie nicht auch zu nah an einem anderen, inzwischen schon klassischen Schurken gebaut, nämlich Gordon Gekko, dem rücksichtslosen Börsenmakler aus „Wall Street“? Gekko prägte einst den inzwischen längst bei Neoliberalen (und nicht nur denen) legendären Spruch: „Der Punkt ist, meine Damen und Herren, dass Gier, in Ermangelung eines besseren Begriffs, einfach gut ist“. Beide eint jedenfalls eine sehr ähnliche Lebensphilosophie: Alles, was mir und meiner Karriere dient, ist grundsätzlich gut und gerechtfertigt und jeder, der das anders sieht, kann mich mal und ist mein Feind. In Mirandas Fall mit der Ergänzung: Umso mehr falls er / sie jünger als und ebenso begabt ist wie ich.
Gekkos charakterlicher Schwachpunkt war, dass er einmal im Leben einem anderen vertraute, und prompt dafür verraten wurde. Mirandas Problem ist, dass sie im tiefsten Grund ihres schwarzen Herzens eben doch eine Romantikerin ist, der Ästhetik und Eleganz letztlich so viel bedeuten, dass sie sich deswegen beinah selbst ein Karrierebein stellt. Und, klischeetypisch Frau, sie liebt ihre Kinder. Vielleicht nicht ganz so sehr wie ihre Position als einflussreichste Fashionredakteurin der Welt, aber doch schon zu sehr, als dass sie nicht für sie schwach werden würde. Das macht sie mehr zur tragischen Figur, als zur Schurkin reinsten Wassers. Obwohl man darüber durchaus auch geteilter Meinung sein könnte. Immerhin traut jeder ihr, selbst nach einem möglichen Sturz, genauso ein Comeback zu, wie man es Gordon Gekko am Ende von „Wall Street“ zutraut. Geschlagen geben können sie sich beide dem Schicksal nicht.
Klar, es gibt dann noch so diverse Mörderinnen und Rächerinnen, die in jenem Film oder diesem Buch ihre Rolle spielten, aber haben die eben immer mehr einen Touch von Femme fatale, als wahrer Schurkin. Denn dazu gehört nun mal jener tiefdunkle Glanz wie ihn nur echte Bedrohlichkeit provoziert und außerdem ein Maß an Anarchie und Kaltschnäuzigkeit, die einer Femme fatale, wie mörderisch und intrigant sie auch dargeboten sein mag, selten gut anstehen, da die Ausstrahlung einer wirklichen Femme fatale vor allem in ihrer sexuellen Verführungskraft liegt, aber die nun mal höchstens ein Attribut einer faszinierenden Schurkenfigur ausmacht. Und zwar oft genug noch nicht einmal ein wirklich entscheidendes.
Gut erdachte Schurken sind per se Tabubrecher, sie sind mutig, sie sind konsequent, sie haben sich aus freiem Willen zu ihren Untaten entschlossen und sie dürfen vor allem niemals langweilig sein. Kein Schurke, der sein Geld an der Kinokasse oder im Buchladen wirklich wert ist, darf sich auch vorwerfen lassen inkonsequent zu sein. Je herausfordernder die Taten und Aussagen des Schurken ausfallen, desto eindrucksvoller wirkt er aufs Publikum. Das gilt auch stilistisch, denn den aufregendsten Tabubruch und die provokativsten Dialogzeilen reserviert ein cleverer Autor immer zuerst für seine Schurkenfigur. Da ein Schurke rein dramaturgisch dazu dient, jene Anarchie und Willkür in den Plot eines Romans, Drehbuchs, Films einzubringen, mit dem der Handlungsablauf überhaupt erst so wirklich angestoßen wird.
Könnte es sein, dass weibliche Schurkenfiguren einfach nicht gar so flüssig zu erschaffen sind wie ihre männlichen Brüder? Falls dem so ist, weshalb? Weil die meisten Schreiber, sowohl im Film wie im Literaturgeschäft, immer noch männlich sind und daher aus männlicher Sicht schreiben bzw. denken und sich nicht gar so easy an weibliche Schurken herantrauen? Weil man Frauen diesen Charakterspritzer an Anarchie nicht zutrauen will, den eine überzeugende Schurkenfigur nun mal braucht?
Andererseits würden eine Menge Frauen nicht unumwunden zugeben, dass eine Auktion von mörderisch preisgesenkten Alexander McQueen Roben durchaus in einem tödlichen Kampf enden könnte? Und, da hat noch keiner ein Wort von Schuhen, Handtaschen oder Dessous erwähnt.
Zu klischeehaft und billig, oder? Frauen, die sich für Schuhe oder superteure Designerkleider gegenseitig die Nasen eindellen?!
Stimmt. Vielleicht. Nutzte man das als Aufhänger in einem Roman qualifizierte der sich damit allerdings in denselben Anspruchsregionen, in denen sich auch Titel wie „Dr. Karl-Heinz Semmelbrösel, der Kinderarzt, dem die Mütter vertrauen“ oder „Des Almöhis geheime Liebschaften“ tummeln. Eigentlich auch gar nichts dagegen zu sagen, was dem einen „sin Uhl“ ist dem anderen seine „Nachtigall“ und all das. Trotzdem nicht ganz das, worüber hier verhandelt werden soll.
Ein anderes Argument, das man auf die Frage nach dem auffallenden Mangel an beeindruckenden weiblichen Schurken hört, lautet: Frauen mögen es nicht von anderen Frauen zu lesen, die aggressiv gegen Konventionen verstoßen. Also über genau das, was Schurken zu tun haben um ihre dramaturgische Rolle zu erfüllen. Und Frauen machen nun mal die größte Anzahl von Lesern und Buchkäufern aus, weswegen man von Anfang an in den Redaktionen, Lektoratssitzungen und Gameentwicklerbüros lieber von vornherein auf Schurkinnen verzichtet. Bei den Computergames womöglich sogar noch grundsätzlicher als in den Verlagslektoraten und den Produktionsfirmen, weil gaming vorwiegend als Hobby von Männern und Jungen gilt, von denen man annimmt, dass sie die Frauen lieber auf dem Rücken und mit gespreizten Beinen sehen mögen, als in der Rolle einer selbstbewussten virtuellen Gegenspielerin.
Aber all das scheint ziemlich kurz gedacht. Von einseitig gar nicht zu reden. So einfach lassen sich Zielgruppen zum Glück wohl nicht über einen Kamm scheren.
Liegt der Mangel an weiblichen Schurken in der Popkultur daran, dass Frauen, weil sie schon in der Realität ungleich öfter die Opferrolle als die der Täterin einnehmen, sich allein dadurch grundsätzlich als die glaubhafteren fiktiven Opfer qualifizieren?
Und so weit wird ja – zumindest in der westlichen Welt – auch keiner mehr gehen, Frauen grundsätzlich die Fähigkeit dazu abzusprechen, Böses zu tun.
Oder etwa doch?
Immerhin beschwerte sich eine der sehr gelungenen und einflussreichen männlichen Schurkenfiguren einst darüber, dass Frauen von Männern grundsätzlich etwas zu goldig und rücksichtsvoll bewertet würden. Dies war Daryl van Hoorn, jener Satan in Machogestalt, der in John Updikes Roman „Hexen von Eastwick“ und dem danach gedrehten Spielfilm in die friedliche Kleinstadt Eastwick einfällt um dort einen würdigen Stammhalter zu produzieren.
Das geht grandios schief, weil – zumindest in Updikes Welt – sogar der Satan am Ende nur ein Würstchen ist und an der Entschlossenheit, Solidarität und Schlauheit der potenziellen Leihmütter scheitert, was ihn in einer großartigen Szene bei einem Sonntagsgottesdienst dazu bringt sich heftig über das vermeintlich schwächere Geschlecht zu beschweren. Zitat Daryl van Hoorn: „Glaubt ihr Gott macht Fehler? Und ob er Fehler macht. Wir alle machen Fehler. Nur wenn wir Mist bauen bezeichnen sie es als Verbrechen und nennen es böse. Wenn Gott Fehler macht, nennt sich das Natur. So, was denkt ihr? FRAUEN?! Sind FRAUEN einfach nur einer von Gottes Fehlern? Oder hat der alte Bastard uns die etwa mit ABSICHT angetan?”
Man darf sicher davon ausgehen, dass Gott den Menschen deren weiblichen Anteil tatsächlich durchaus mit Absicht „antat“. Schon wegen gewisser Fortpflanzungszwänge.
Dass Daryl van Hoorn die drei Frauen aus Eastwick, die er sich als Leihmütter für seinen teuflischen Nachwuchs auserkor, als Schurkinnen betrachtete war allerdings eine Sichtweise, die er mit dem größten Teil des Publikums nicht teilte.
Trotzdem könnte Mister Daryl van Hoorn mit seiner bitteren Beschwerde bei Gott ja auf eine Erkenntnis gestoßen sein, über die es nachzudenken lohnt. Schurkenfiguren, die es wie Hannibal Lecter oder Gordon Gekko zu Popkultstatus bringen, müssen um das zu erreichen stark, selbstbewusst, mutig und vor allem bedrohlich sein. Alles Eigenschaften, die für prädestinierte Opfer nicht gelten. Schurken erzeugen Furcht im Publikum. Das fertig zu bringen bedeutet Macht. Schurken graben sich tiefer in die Fantasie des Publikums als positive Figuren. Nichts ist in der Fiktion so eindrucksvoll wie ein clever kalkulierter Tabubruch. Der nun mal in aller Regel dem Schurken zufällt, weniger den positiven Figuren.
Popkultur findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie hat Auswirkungen auf die Art wie wir alle miteinander umgehen. Kann es wirklich gesund für eine Gesellschaft sein eine Hälfte ihrer Mitglieder grundsätzlich nur in eine Rolle als bequeme Opfer zu casten?
Der tschechische Autor Pavel Kohout schuf 1970 eine der beklemmendsten, (wenn auch in der Popkultur nie so erfolgreichen) schurkischen Frauenfiguren überhaupt, nämlich die eiskalte jugendliche Henkerin Lizinka, die durch das mörderische Chaos, das sie durch ihre Schönheit und ihr Henkerinnentalent anrichtet, ungefähr mit derselben Mühe und emotionalen Anstrengung geht wie ein heißes Messer durch Butter. In seiner kürzlich erschienenen Autobiographie berichtet Kohout, dass wann immer er aus seinen Werken las, es in der überwältigenden Mehrheit Mädchen im Alter seiner Lizinka waren, die ihm seine „Henkerin“ zum Signieren zuschoben. Alles verkappte kleine Henkerinnen? Vielleicht. Oder ein Beweis dafür, dass die aktuell mit dreifach überzuckerten Komödchen und Romanzchen überschüttete weibliche Young Adult Zielgruppe nicht auch deutlich stärkeren Tobak zu schätzen wüsste, als man ihr derzeit auf dem Umweg über niedlich pinke und herzchengeschmückte Blogs, Lesezeichen und Buchcover vorzusetzen wagt. Mit „The Hunger Games“ hat das bereits einmal sehr gut funktioniert. Seither herrscht allerdings in dieser Beziehung wieder die große Leere, sieht man mal von all den rasch zusammengeschusterten, aber deutlich weicher gespülten Konzeptkopien der „Hunger Games“- Trilogie ab, die aktuell immer noch den Markt fluten.
Wie wäre es, liebe Kollegen da draußen, zur Abwechslung mal mit einem weiblichen Tom Ripley? Also einer weiblichen Hauptfigur zu beschreiben als, auf die aalglatte Art charmant, umgänglich, dabei aber eine eiskalte Killerin und Betrügerin, die dennoch, wenn auch eher aus Versehen, zuweilen auf der Seite des moralisch etwas Besseren, wenn nicht ganz und gar Guten betrügt und mordet? Wie charakterisierte Pavel Kohout einst noch den Ersteindruck, den seine Lizinka vermittelte: „Ein Mädchen wie man ihr beim Zahnarzt zuerst begegnen will, wenn man Angst vorm Zahnarzt hat“.
Der Autor dieses Beitrags ruft dessen Leser jedenfalls dazu auf in den Kommentaren ihre eigenen Gedanken zu den darin aufgeworfenen Fragen zu äußern.

-Ende-

David Gray

David Gray

David Grays Leidenschaft für Bücher wurde von einer gutaussehenden Bibliothekarin geweckt, an die er im zarten Alter von 13 Jahren sein Herz verlor. Unglückliche Liebe – eigentlich ein idealer Aufhänger für einen Roman. Das erste selbst verfasste Buch ließ dann jedoch noch einige Zeit auf sich warten und war wesentlich düsterer, vermutlich aufgrund exzessiver Krimilektüre. Bücher sind schließlich seine Inspiration! Zudem ist er ein Newsjunkie und so dienen ihm oft auch reale Ereignisse in Politik und Wirtschaft als Anregung. Wichtig zum Schreiben sind ihm Ruhe, genügend Vorräte seines bevorzugten dänischen Zigarettentabaksund – ganz wichtig – allzeit frisch gebrühter Kaffee in Reichweite. Zur Entspannung schaut er sich dann einen Spielfilm an oder liest, wie könnte es auch anders sein, einen guten Krimi.
David Gray

Letzte Artikel von David Gray (Alle anzeigen)

Bildquellen

  • Teufelin: pixabay.com

2 Gedanken zu “Gottes Fehler und Teufels Beitrag?

  1. Lieber David,
    danke für Deinen Beitrag!
    Ich hätte da mal noch ein paar Anmerkungen:

    Das Problem ist, wie Du kurz angedeutet hast, dass ein guter „Schurke“ Macht benötigt. Seit der Arbeitsteilung ist aber auch die Machtverteilung geregelt und in die Gene (zumindest in ihre Expression) gegossen.
    Untersuchungen zu Psychopathen, eine Gruppe, die „Schurken“ stellen könnte sind schwierig. Man hat bisher nur wenige taugliche Fragebögen entwickeln können, die sie erfassen. Zu weiblichen Psychopathen, die es ganz sicher gibt, existieren kaum Daten. Die narzisstisch Persönlichkeitsgestörten können auch gute „Schurken“ abgeben. Wobei die weiblichen Vertreter auch anders agieren als die männlichen. Wie viele Manager, Konzernchefs und Regierungsmitglieder sind so strukturiert?! Wie viele von ihnen sind weiblich?
    Die Entwicklung antisozialer Persönlichkeiten (ist weiter gefasst als Psychopathie) wurde an Jungen nachvollzogen, kaum Daten bei den Mädchen. Interessant ist, dass die Geschlechter unterschiedlich reagieren auf die ungünstigen Bedingungen, in denen sie aufwuchsen. Die insensitive (unsichere, süchtige, gewalttätige) Mutter, der abwesende (süchtige, gewalttätige, was weiß ich) Vater, der Mangel an sozialen Ressourcen, Misshandlung und Missbrauch kommen im Leben Heranwachsender beiderlei Geschlechts vor. Hat man 50:50 misshandelte/verwahrloste Jungen und Mädchen, bekommt man kriminelle Männer und kranke Frauen. Frauen gehen damit einen „sozialverträglicheren“ Weg. Biologie und Rollenvorstellungen werden das bewirken. (Genetik gucken wir uns jetzt nicht an, weil die vermutlich gleich verteilt ist. Genetischen Faktoren haben natürlich einen Anteil an der Entwicklung von antisozialen Persönlichkeiten. Wie hoch der ist, weiß man nicht.) Die Vorstellung von der Rolle ist aber stark von der sozialen Situation, eben von der Vorherrschaft des Mannes seit anno tuck, geprägt. Deswegen müssen Frauen, wenn sie „böse“ sein wollen oder sollen, inferiore, subversive Maßnahmen ergreifen. Wut und Hass werden also anders kanalisiert, weniger direkt häufig.
    Häusliche Gewalt wird bekanntlich mehrheitlich von männlichen Tätern verübt. Das bedeutet aber nicht, dass die Opfer keinen Anteil (ich meine nicht Schuld!!!) am Geschehen hätten. Ein Beispiel ist die grenzüberschreitende, verletzende verbale Attacke: Sie bedrängt ihn verbal, entwertet ihn, macht ihn lächerlich usw. – Er fühlt seine Position bedroht, sich als Person in Frage gestellt, erlebt sich als machtlos und … schlägt zu. So etwas gibt es von Kommunikationsstil i. S. eines Gerangels bis zu massivster Gewalt. Am Ende des Geschehens ist er Täter und sie Opfer. Und beide finden sich in einer fatalen Verstrickung von gegenseitiger Nötigung wieder, in einem Teufelskreis. Aus Mangel an (Macht-)Mitteln benutzt sie eher einen passiv-aggressiven Stil, er einen offen antisozialen, also einen, der den geltenden Moralvorstellungen entgegen steht. Der „freie Wille“ spielt da eine sehr marginale Rolle. Wär „er“ z.B. in einer Führungsposition einer kriminellen Organisation MUSS „er“, um seinen Status zu sichern, kriminell agieren. Tut „er“ das nicht, läuft er Gefahr 1. seinen Status zu verlieren, 2. womöglich ganz aus der Gruppe zu fliegen. Und wo soll „er“ dann hin, wenn „er“ nix anderes gelernt hat? Status und Teilhabe am sozialen System sind aber wichtige Bedürfnisse. („Status“ wird oft belächelt, ist aber Quatsch. Jeder hat schließlich einen, also irgendeinen. Die Zufriedenheit damit ist entscheidend.)
    Dies könnte man auch auf Wirtschaftskriminalität übertragen. Frauen würden womöglich betrügen, hinterziehen, fremde Kohle verzocken, und gewiss genauso gnadenlos vorgehen, hätten sie die nötigen Mittel und die dazugehörigen Strukturen. Haben sie aber nicht, seit Adam und Eva. (Lilith, die kluge, erfolgreiche Fliegerin, hat man ja demontiert und verbannt.) Der Monotheismus mit der Festschreibung des Patriarchats und als Voraussetzung für die Individualisierung zumindest auf ideologischer Ebene (auf der materiellen ist es der Mehrwert und dessen ungleiche Verteilung) hat seinen Anteil daran.
    Betrachtet man den Mangel an biologischen und sozialen Ressourcen, ist es nur folgerichtig, dass Frauen als „Schurkinnen“ nicht plausibel inszeniert werden können. Abgesehen davon, dass ich von dem Begriff des „Schurken“ wenig halte, denn würde man ihn konsequent ausfüllen, wäre die Figur platt und eindimensional. In der Realität haben wir es aber mit komplexen Psychosystemen zu tun, die fiktional abgebildet gehören.
    Immerhin lassen die Veränderungen im sozialen Bereich wie in der individuellen Verarbeitung, die mit der sog. „sexuellen Revolution“ eingeläutet wurden, auf „Schurkinnen“ hoffen, betrachtet man die zunehmende Gewaltbereitschaft weiblicher Peergroups. Aber bis wir eine Gleichberechtigung haben, die ihren Namen verdient, müssen wir vermutlich weiterhin mit männlichen „Schurken“ vorlieb nehmen, real wie literarisch.

  2. Guter Text, Herr Gray.
    In der Tat fallen auch mir aus dem Stegreif nicht mehr weibliche Schurken ein. Woran das liegen könnte?
    Vielleicht auch daran, dass die wirklich bösen, skrupellosen Männer (nicht die perversen Psychopathen) in Strukturen geraten sind, die ihnen völlig entfesselt die Freiheit geben, skrupellos zu handeln. Banker, Mafiosi, Waffenschieber… – alles Welten, in die es eine Frau idR überhaupt nicht schafft. Und was dadurch eine dergestalt gezeichnete Schurkin von vorn herein unglaubwürdig macht? Wer kann sich schon eine Warlord_IN in Afrika vorstellen?
    Der Schurke ist ja auch immer deshalb ein wenig sympathisch, weil er das System, das ihn geschaffen hat, selbst brutal ausnutzt. Und am Ende ist man immer ein bisschen traurig, wenn das System doch wieder gewinnt.

Kommentar verfassen