Kalte Küsse

Plädoyer für eine sexy Bitch

Sie ist die Verführerin mit dem kalten Herz und den heißen Küssen, die Frau im glänzenden Kleid, unter deren Schlafzimmerblicken Männerherzen zu Pfützen schmelzen, so dreckig und flach vor purem Verlangen, dass alle anderen Verlockungen, die das Leben bietet, davor verblassen.
Sie ist als literarisches Inventar das absolute Gegenprogramm zu den Fifty-Shades-Anas oder Twilight-Bella-Swans. Sie ist die Mutter aller Dominas und große Schwester sämtlicher Superheldinnen. Bei ihr geht es wirklich zur Sache. Nicht nur sexuell.
Eine große Schwester, muss man herausstellen, deren Sarkasmus in aller Regel so schwarz und bitter ist, dass er ihr nicht mehr als bloßes Markenzeichen dienen kann, sondern tiefer in ihre literarische DNA eingeschrieben sein muss, als selbst ihre Schlafzimmerblicke und der verführerische Hüftschwung, mit deren Hilfe sie die harten Jungs reihenweise zu einer Runde zwischen ihre (selten frisch gewaschenen) Laken zwingt.
Ja, diese Dame ist der Albtraum für jedes Machoherz. Denn besitzen und benutzen lässt sie sich von den Herren der Schöpfung nicht.
Gerade in letzter Zeit jedoch ist sie immer mal wieder für tot erklärt worden. Ihre Nachrufe warteten längst ausformuliert in den Schubladen. Ich hoffe nicht sehr nah neben denen von Helmut Kohl, Paolo Coelho oder Martin Mosebach. Eher schon in derselben Schubladenablage wie die von Margaret Atwood oder Val McDermid. Was jetzt nicht heißen soll, dass ich den beiden letztgenannten nicht ein deutlich längeres und produktiveres Leben wünsche, als den weiter oben aufgezählten Herren. Im Gegenteil.

Meine Blogpostheldin trug über die Jahrhunderte viele Namen. Doch jeder davon lässt sich inzwischen auf einen einzigen Begriff reduzieren: Femme fatale. Wie bei den meisten Figuren, deren Nachrufe vorformuliert in Schreiberschubladen bereitliegen, ist auch über sie schon viel Druckerschwärze und Intellektuellenstirnschweiß vergossen worden.
Interessant ist jedoch, gerade hier auf dem Blog eines Krimiverlags, zuerst einmal der Modus Operandi, der eine Femme fatale überhaupt als solche qualifiziert. In Krimis und Thrillern sind die Modus Operandi ja immer extrem wichtig. Das fängt bei Sherlock Holmes an und hört bei Don Winslow auf.
So kompliziert ist der im Fall meiner Blogpostheldin auch nicht auszumachen. Denn er besteht in der Verführung eines Mannes (seltener einer Frau, obwohl auch das nicht völlig neu wäre), der sich selbst als ziemlich harten Hund definiert, aber im Laufe der jeweiligen Story von Madame oder Mademoiselle Femme fatale eindeutig eines Besseren belehrt wird. Da das bevorzugte literarische Biotop der Femme fatale der Krimi oder Thriller ist, kann es keinen wirklich überraschen, dass ein weiteres Kennzeichen ihrer Art die Bereitschaft darstellt, für ihre Ziele über Leichen zu gehen. Und zwar nicht nur im übertragenen Sinne. So weit die jeweilige Vertreterin der Femme-fatale-Spezies von echtem Schrot und Korn ist, können es auch mehrere Leichen sein. Ob die weiblich oder männlich ausfallen, spielt für sie auch eher eine untergeordnete Rolle, obwohl ich hier mal zu behaupten wage, dass – einmal durchgezählt – in ihrem Spielfeld die männlichen überwiegen würden.
Man sucht die Urahnin der modernen Femmes fatales gern im grecojüdischen Mythos von Lilith, die wiederum der tragischen Vampirin Carmilla, Titelfigur der klassischen Gothic Novel des Iren Sheridan Le Fanu, zum Vorbild diente. Seltener zog man auch die nicht weniger berühmte Judith aus der Bibel dazu heran, die einst den Eroberer ihrer Heimatstadt Holofernes um einen Kopf kürzer gemacht haben soll. (Die ist übrigens nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Sängerin der Popband „Wir sind Helden“.)
Obwohl jede der eben aufgezählten Figuren in sich eindrucksvoll genug wäre um als erster Spross in der langen Ahnenreihe der Schwesternschaft der tödlichen Bräute herhalten zu können, ist die wahre literarische Ururururgroßmutter der Femme fatale keine andere als die unvergleichliche Juliette aus dem gleichnamigen Roman des Marquis de Sade, jenes „Bluthustens der europäischen Literatur“, wie ihn der Kritiker Ernst Ulitzsch bezeichnete. Woman
Juliette ist Waise und wächst in einer Klosterschule auf, wo sie bezeichnenderweise in den Kellergewölben ihre ersten Schritte in Sachen Sex unternimmt, was dann folgt ist ein Leben, das man als einzige lange Orgie des Verbrechens und der Perversitäten charakterisieren kann, in die Juliette sich mit fröhlichem Eifer stürzt. In Frankreich wird sie Puffmutter und Kurtisane, später im Vatikan feiert sie schwarze Messen mit einem pädophilen und nekrophilen Papst und in den norditalienischen Wäldern wird ihre Ausbildung zu einer Königin des Verbrechens von einer Räuberhauptfrau vervollkommnet. Nur einmal strauchelt sie auf dem Weg zum Olymp der glücklichen Räuber, Diebe, Mörder und raffgierigen Politiker, als sie für sich selbst ziemlich überraschend Mitgefühl in sich entdeckt und dafür um ein Haar mit dem Leben bezahlt. Von da ab war es das mit jeglicher Form der Rücksichtnahme. Dass Mitgefühl in ihrer Welt tödlich sein kann, ist die letzte Lektion, die sie zu lernen hatte. Von da ab gibt es nichts mehr, wovor sie zurückschreckt, um sich selbst zu der Sorte von Sicherheit zu verhelfen, die in Reichtum und Macht liegt.
Juliettes Geschichte, zumal im teilweise ermüdenden Schreibstil des Marquis verfasst, wäre inzwischen wahrscheinlich längst vergessen, wenn der clevere alte Lüstling seiner Heldin nicht einen triftigen Auslöser für ihr lebenslängliches Fest des Verbrechens und der Perversion mitgegeben hätte: Juliette weiß von Anfang an, dass sie als Frau in einer Männerwelt keine Chance haben wird, falls sie sich je an die Regeln ihrer Gesellschaft halten wird, in der Frauen höchstens als reines Sexobjekt oder nach Mitgift bewertete und verkaufte Handelsware galten. Juliette scheißt auf diese Regeln. Und das tut sie sehr bewusst. Quel scandale, Mesdames et Messieurs!
Da zeigt sich eines der Charaktermerkmale jeder echten Femme fatale: Sie kennt die Regeln, sie weiß um den (unweigerlich untergeordneten) Platz, den man ihr in der Gesellschaft zugesteht, aber will ihn um keinen Preis akzeptieren. Worüber sie außerdem verdammt gut Bescheid weiß, sind die Sehnsüchte und geheimen Fantasien der Männer. Je nützlicher ihr diese erscheinen, umso leichter, so scheint es, machen sie es ihr, die Herren damit in ihren Bann zu ziehen und für ihre eigenen Zwecke zu manipulieren.
Doch in einem Aspekt setzt sich de Sades Juliette sogar immer noch von den meisten ihrer modernen Schwestern ab. Denn Juliettes Träume von frohgemut ausgelebter Macht, von Reichtum und jeder Menge selbstbestimmten (allerdings wahrscheinlich eher unappetitlichen) Sex und Gaudi erfüllen sich.
Bis auf wenige Ausnahmen wird dies den zeitgenössischen Femme fatales nämlich nicht vergönnt. Eine dieser auffälligen Ausnahmen wäre Catherine Tramell, die mörderischen Schriftstellerin aus dem 1992er Skandalfilm „Basic Instict“.
Eine zweite bemerkenswerte Ausnahme ist die extrem intelligente Psychopathin Alice Morgan aus der Kultkrimiserie „Luther“, die zum Ende der letzten Staffel unbehelligt ins Ausland flüchten kann, allerdings auch nicht ohne zuvor so etwas wie eine verdrehte Wiedergutmachung geleistet zu haben, indem sie dem Detektiv bei der Ergreifung einiger gefährlicher Missetäter hilft.
In Hollywood wird der Femme fatale bis heute generell lieber ein tragisches Ende zugestanden. In „Gone Girl“, David Finchers Verfilmung des gleichnamigen Romans von Gillian Flynn, landet Femme fatale Amy Dunne am Ende ihres Ausbruchs aus der erstickenden Langeweile ihrer Hipstertraumehe mit dem Hipstertraummann im Spießervorstadtparadies sogar wieder exakt dort, von wo sie zuvor geflohen war: nämlich bei ihrem Mann, im gemeinsamen Traumhaus.
A very special kind of hell, indeed.
Trotzdem bietet „Gone Girl“ einen (beinah) frischen, auf jeden Fall aber ziemlich bemerkenswerten Storytwist, denn ab einem bestimmten Punkt innerhalb der Story wird Femme fatale Amy nämlich mit einer Art Homme fatale konfrontiert, dem stalkenden Millionär Desi Collings, der sämtliche Popkulturwarnsignale des psychopathischen Killers trägt, ohne jedoch wirklich einer zu sein. (Merke: Mörder brauchen WUT oder MUT um zu töten und von beidem hat Desi nicht genug abbekommen.) Doch was nicht ist kann – zumindest in Büchern und Filmen – ja immer noch werden und bevor Desi die arme Amy für immer in sein noch luxuriöseres, noch größeres und noch spießigeres Haus einsperren kann, macht Amy ihn ein für alle Mal fertig. (Und, wenn ich das hier noch anmerken darf, auf eine sehr undamenhafte Art und Weise.) So komisch tragisch die gute Amy auch in David Finchers Film endet, ihren Ehrenplatz unter Juliettes Thron der sexy Bitches hat sie sich eindeutig verdient.
Eigentlich ganz spannend und innovativ diese Schwesternschaft der mörderischen Bräute, oder? Weshalb zieht man dann angeblich in letzter Zeit verstärkt ihre vorgefertigten Nachrufe aus den Schubladen?
Das hat etwas mit Popkultur zu tun und deren Tendenz, ihre Lieblingsklischees so lange zu hypen, bis sie keiner mehr sehen, hören und lesen kann und sie dann in eine Bibliothek vergessener Kinder verstoßen werden, wo sie neben anderen verbrauchten Helden bis zu ihrer Auferstehung in relativer Ruhe eine Art leichten Dämmerschlaf halten. Doch immer und ich meine IMMER taucht Jahre oder Jahrzehnte später ein smarter Bastard auf, der clever genug ist sie abzustauben, aufzuwecken und mit neuem Outfit versehen wieder ans Rampenlicht heraufzuholen.
Auf die Giftschränke der Popkultur trifft zu, was der sowjetische Krimiautor Arkadi Wainer einst über verbotene Bücher sagte: „Gute Bücher brennen nie wirklich. Irgendwann kommt die Zeit ihrer Wiedergeburt. Und sei es nur in Form eines Gerüchts über ein Gerücht.“
Amy aus „Gone Girl“ wird trotz ihres Erfolgs an den Buchläden- und Kinokassen nicht genug sein um eine neue Welle von Juliettes sexy Enkeltöchtern auf uns loszutreten. Aber sie ist eine Pionierin, die womöglich bessere Zeiten für die Schwesternschaft der mörderischen Bräute am Horizont der Kriminalliteratur ankündigt.
Eyes
Wie sagte noch Sam Spade einst zu Bridget O’Shaugnessy, jener Blüte der Spezies Femme fatale, die ihn in Dashiell Hammetts „The Maltese Falcon“ beinah um den Verstand gebracht hätte: „Du bist ein Engel. Ich werde auf dich warten. Wenn sie dich aufhängen, werde ich dich nie vergessen.“
Es gibt keinen Grund an der Aufrichtigkeit von Sams Worten zu zweifeln. Er wird auf sie warten. Und er wird sie nie vergessen. Und weil das so ist, gibt es auch keinen Grund die Femme fatale in den Giftschränken der Popkultur verstauben zu lassen.
Zu Zeiten, in denen PEGIDA marschiert, sich Schlipsreaktionäre in Deutschland unter blauen Parteibannern versammeln, man zeitgleich literweise Druckerschwärze an die Beantwortung der Frage verschwendet, ob es tatsächlich angemessen sei eine Frau Professorin nun auch „Frau Professorin“ zu nennen und immer mehr religiös verbohrte Menschen immer lauter behaupten, dass Sexualkunde an Grundschulen so ziemlich die Wurzel aller moderner Übel, vom Islamismus bis hin zum sinkenden Durchschnitt der Sonnenstunden auf Sylt und Amrum darstellt, muss man es als Kriminalautor eigentlich als Herausforderung begreifen, der Schwesternschaft der mörderischen Bräute einige neue schillernde Kandidatinnen hinzuzustellen.
Denn, geschätzte Leser, wofür, neben Sex und Mord, jede echte Femme fatale immer sorgt ist ein dick mit Lippenstift gefärbter und Chanel Nummer 5 beträufelter Schuss Anarchie. Aber Anarchie, liebe sehr verehrte und geneigte Leserschaft, ist wovor Betonköpfe sämtlicher Couleur sich fürchten, und das, was uns, die wir wissen, dass gute Krimis immer auch gute Romane sind, erst spannend macht. So mögen denn die mörderischen Bräute mit dem sexy Hüftschwung und dem heiß-kalten Herzen möglichst bald und möglichst tatendurstig in Trenchcoat, Minirock oder Lederjacke wieder durch den Nebel oder Neonglanz auf der Suche nach neuen Opfern durch die Nächte der Metropolen streifen. Der geistige Vater der Großmutter aller mörderischen sexy Bitches formulierte einmal ein Kredo, das für den Krimi noch mehr gelten muss, als für den Rest all dessen, was in angrenzenden Kunstkreativblasen sonst noch so erdacht und produziert werden mag. Er schrieb: „Kunst ist die fortwährende unmoralische Unterhöhlung der bestehenden Ordnungen.“
Voilà, Mesdames et Messieurs!
Herr Gray dankt für Ihre Aufmerksamkeit.

David Gray

David Gray

David Grays Leidenschaft für Bücher wurde von einer gutaussehenden Bibliothekarin geweckt, an die er im zarten Alter von 13 Jahren sein Herz verlor. Unglückliche Liebe – eigentlich ein idealer Aufhänger für einen Roman. Das erste selbst verfasste Buch ließ dann jedoch noch einige Zeit auf sich warten und war wesentlich düsterer, vermutlich aufgrund exzessiver Krimilektüre. Bücher sind schließlich seine Inspiration! Zudem ist er ein Newsjunkie und so dienen ihm oft auch reale Ereignisse in Politik und Wirtschaft als Anregung. Wichtig zum Schreiben sind ihm Ruhe, genügend Vorräte seines bevorzugten dänischen Zigarettentabaksund – ganz wichtig – allzeit frisch gebrühter Kaffee in Reichweite. Zur Entspannung schaut er sich dann einen Spielfilm an oder liest, wie könnte es auch anders sein, einen guten Krimi.
David Gray

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