Zwischenruf

Was mich manchmal dann doch nervt

 

Na klar, wir sind alle Charlie. Wir teilen das Bildchen, nutzen fleißig den dazugehörigen Hashtag und modeln ganz schnell und betroffen unsere Facebook, Twitter, G+, Pinterest, Whatsapp und-was-weiß-ich-nicht-sonst-noch für Profilbildchen um.

Wir zeigen Solidarität.

So einfach ist das.

Und so wichtig ist es auch.

Bis die nächste Katastrophe kommt, oder irgendwer mit Internetstreetcredit es für cool erklärt sich, statt Icewater, eben mal Hotwaterchallenges zu unterwerfen.

Da haben ein paar Idioten wieder einmal ihre eigene (mediale) Unsterblichkeit gesucht und in den Abzügen ihrer Waffen gefunden. Dasselbe Muster wie in Boston. Was war in Boston? Wann war was in Boston? Richtig. Da war was mit einem Marathonlauf und einer Bombe. Oder war es eine Granate? Was war es? Na da war jedenfalls was. Was Schlimmes. Furchtbares. Wir waren damals auch alle Boston.

Wir alle meinten es auch damals schon gut. Und meinen es auch jetzt wieder wirklich mit dem meinen. So aus unserem Herzen heraus und einem Gefühl von Unglaube, Betroffenheit und, ja, und: Beleidigung. Wir sind angegriffen worden. In Paris. In einer Redaktion eines Magazins, auf das im Laufe seines Bestehens von links, von rechts, von oben, unten – aus allen denkbaren und undankbaren politischen Farb- und Glaubensrichtungen so gern eingedroschen worden war, dass es dessen Redakteure für nötig befanden ihre Redaktionsadresse verdeckt zu halten.

Trotzdem nichts dagegen zu sagen, auch die Satiriker zu kritisieren. (Zur Not eben solange und so heftig, bis sie ihre Redaktionsadresse unter der Decke halten müssen. Das ist Meinungsfreiheit. Wer austeilt muss auch einstecken können. Und all das) Und ist nichts dagegen zu sagen.

Aber das jetzt und hier, FreundInnen, LeserInnen und KollegInnen, ist die Ausnahmesituation, das Wasser am Kochen, die Kacke am Dampfen, the shit has hit the fan. Da vergisst man, dass man vielleicht vor einigen Tagen noch die letzte oder vorletzte Ausgabe von „Charlie Hebdo“ oder der „Titanic“ selbst für scheiße gehalten hätte, das Cover für heillos übertrieben, oder schlichtweg bloß geschmacklos.

Was ich mir, der ich mir hier mal anmaße mich ebenso betroffen, hilflos und verloren angesichts der Nachrichten aus Paris gefühlt zu haben wie ihr, dennoch wünsche ist, dass ihr ab und zu mal, dann, wenn gerade kein größenwahnsinniger Bekloppter seinen Narzissmus mit der Waffe in der Hand (der Bombenweste unterm Sakko, der Granate unterm Kaftan, der Pumpgun unterm Mantel) gegenüber Unschuldigen ausgelebt hat, vielleicht auch mal eure Avatarbildchen ändert um damit ein Statement gegen die Zensur von Wort, Bild oder Film abzugeben.

In den USA werden gerade jetzt Bücher aus Leihbibliotheken verbannt, im Iran, in China, Nigeria und Russland Gemälde, Skulpturen, Bücher und Filme verboten oder in Saudi Arabien regimekritische Blogger zu 1000 Peitschenhieben verdonnert. Richtig gelesen: Eintausend. Peitschenhiebe. Von einem Henker. Öffentlich verteilt. Unter Aufsicht eines Mediziners.

2014 wurden laut Reporter ohne Grenzen, 66 Autoren / Journalisten, 19 Bürgerreporter und 11 Medienarbeiter nicht nur in Ausübung ihrer Arbeit, sondern WEGEN ihrer Arbeit getötet. 119 wurden entführt. Das ist eine Steigerung von 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Kollegen, die vor Verfolgung fliehen mussten hat sich sogar verdoppelt.

„Je suis Charlie“ – welcher Triumph es doch für uns alle in der schreibenden Zunft wäre, könnten wir heute in einem Jahr irgendwo in Paris stehen und sagen, 2015 waren es ein paar weniger Kollegen, die überall auf der Welt wegen ihrer Arbeit getötet worden sind, als 2014.

Herr Gray dankt für Ihre sehr geschätzte Aufmerksamkeit.

 

David Gray

David Gray

David Grays Leidenschaft für Bücher wurde von einer gutaussehenden Bibliothekarin geweckt, an die er im zarten Alter von 13 Jahren sein Herz verlor. Unglückliche Liebe – eigentlich ein idealer Aufhänger für einen Roman. Das erste selbst verfasste Buch ließ dann jedoch noch einige Zeit auf sich warten und war wesentlich düsterer, vermutlich aufgrund exzessiver Krimilektüre. Bücher sind schließlich seine Inspiration! Zudem ist er ein Newsjunkie und so dienen ihm oft auch reale Ereignisse in Politik und Wirtschaft als Anregung. Wichtig zum Schreiben sind ihm Ruhe, genügend Vorräte seines bevorzugten dänischen Zigarettentabaksund – ganz wichtig – allzeit frisch gebrühter Kaffee in Reichweite. Zur Entspannung schaut er sich dann einen Spielfilm an oder liest, wie könnte es auch anders sein, einen guten Krimi.
David Gray

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Ein Gedanke zu “Zwischenruf

  1. Durch g+ bin auch diesen Post aufmerksam geworden. Danke dafür. Danke, dass endlich auch jemand mal wagt, krititsche Worte zu äußern.
    Dieses ‚wir sind‘, oder ‚ich bin‘, da geht es mir genauso, nach wenigen Tagen ist alles wieder vergessen. Und beim nächsten Drama sind wir dann alle wieder …, je nach Anlass.

    *Das was in Paris geschehen ist, lässt sich durch absolut, durch absolut gar nichts rechtfertigen. Das möchte ich an dieser Stelle auch ausdrücklich betonen!*

    Aber, ich gehöre zu jenen Menschen, die Karikatur und Satire zu den Themen Kirche, Glauben, Behinderter und Minderheiten grundsätzlich ablehnen. Gerade, weil sich viele davon provoziert fühlen, weil vieles in anderen Kulturen auch einfach anders verstanden wird.

    Karikatur und Satire ist doch oftmals ein ‚Bohren‘ in eh schon vorhandenen Wunden. Muss ich mich daran noch weiter weiden?

    Da lobe ich mir zur Abwechslung z.B. die USA, dort sind Karikaturen, gerade zum Thema Glaube und Kirche grundsätzlich ein no go und werden nicht veröffentlicht!

    Das wäre für mich die richtige Reaktion auf die aktuellen Ereignisse und nicht ‚jetzt erst recht‘. Denn damit wird wieder und wieder provoziert.

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