Natron und andere Kleinigkeiten

Und es begab sich zu der Zeit, da der heilige Meniscus von Oberschleißheim im Begriff war, einen Hasen­braten zu sich zu nehmen, als es mal wieder regnete. Der Heilige hatte ein Problem gehabt und es mit seinem Kollegen, dem heiligen Ka­luppke, besprochen, aber selbst der hatte im Alten Testament keinen Hin­weis darauf gefunden, dass der Verzehr von Hasen­braten für Heilige problematisch sei, zumal wenn das Tier à la minute und auf den Punkt gegart und von ge­dämpftem Gemüse begleitet ist. Probleme hatte nur der Hase gemacht, er hatte sich strikt geweigert, den Vor­stellungen des heiligen Meniscus zu entsprechen, aber ein gezielter Schlag mit einem Holzscheit direkt hinter die Löffel hatte seinen Protest wirkungslos werden lassen und nach einer Zugabe von Butter und Rot­wein war er endgültig in vollkommene Resignation verfallen.

Der gute Heilige band sich gerade die Serviette um, als es klopfte und er dachte, verdammt, ob Kaluppke sich hier einklinken und auf dem Rand mitgehen will? Er ist ja als starker Esser bekannt. Sollte er den Hasen schnell wieder in den Ofen schieben und eine gottgefällige Mohrrübe auf den Teller legen? Er wollte schon nach seiner Zugeh­frau klingeln, als die Tür sich öffnete und ein kleiner dicker Mann eintrat. Er trug ein langes, buntes Gewand und eine hohe Mütze und lächelte milde. »Der heilige Bimbam«, entfuhr es Menis­cus, »ich …« »Der Heilige Vater«, unterbrach ihn der kleine Dicke und das milde Lächeln verließ sein Gesicht, als wäre es nie gewesen. »Natürlich, pardon, na klar, Heiliger Vater, was liegt an, Euer Hei­ligkeit?« Der Papst klaubte das milde Lächeln wieder aus seinem Repertoire nützlicher Acces­soirs und wiegte ein bisschen den Kopf, mal nach links, mal nach rechts, und da wusste Meniscus, was anlag. Der Alte war pleite, keinen Kredit mehr, Dispo überzogen und statt elf Mahlzeiten pro Tag hatte er nur noch fünf oder sechs, und seine sensible Nase war auf den Hasen­braten ge­stoßen.

»Was soll schon anliegen«, sagte der Papst, »ich schlenderte so vorbei und roch Hasenbraten in Bordeaux und Butter mit gedünstetem Gemüse und fragte mich …« »Was fragten sich Eure Heiligkeit?« Der Papst zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Ich fragte mich, was Heilige und Hasenbraten in Butter und Bordeaux miteinander zu tun haben. Dazu noch mit gedünstetem Gemüse.« »Ich habe es sehr vorsichtig gedünstet, alle Vitamine sind noch drin.« »Darum geht es nicht.« »Um den Bordeaux? Nicht der beste Jahr­gang, tut mir leid, aber zum Kochen …« »Da­rum geht es auch nicht.« Verdammt, dachte der heilige Meniscus, er will mich irgendwie reinlegen und den Hasenbraten an sich bringen. »Um was geht es dann?«, fragte er vorsichtig, »um den Hasen selbst? Ich habe ihm die Abso­lution erteilt, bevor er zum Herrn einging und die letzte Ölung hat er auch erhalten, alles korrekt also.« Der Papst schüttelte den Kopf und sprach: »Auch darum geht es nicht, es geht darum, dass Heilige auch nicht mehr das sind, was sie mal waren. Früher geißelten sie sich, nährten sich von Eidechsen und Brennesseln, frönten der Askese und heute frönen sie der Völlerei.« »Aber Heiliger Vater, es gibt im Alten Testament keinen Hinweis auf ein Verbot von Hasen­braten für Heilige.« »Wer sagt das?« »Kol­lege Kaluppke.« »Ach je, Kaluppke mal wieder. Und was steht bei Moses 3, 24, 27? Wie, was?« »Ja was steht denn da?« Der Papst hob einen kleinen, fetten Zeige­finger und sprach. »Und so ein Hei­liger Hasen­braten in Bordeaux zu sich nimmt, soll ihm wachsen ein Bart von hier bis nach Mexiko.« Der heilige Meniscus wusste natürlich, dass das eine päpstliche Spitzfindigkeit war und er stützte den Kopf in beide Hände und grübelte. Derweilen überzog sich die Soße auf dem Teller mit einer dünnen Haut. Er sah es und es erfüllte ihn mit leiser Trauer. »Dieser Satz«, sagte er endlich, »enthält ein kniffeliges Problem und bedarf der Ausle­gung.« »Keine Spitzfindigkeiten, mein Lieber.« »Nein, nein, aber es ist doch so, dass der Bart auch ohne Hasenbraten wachsen kann und …« »Aber nicht bis Mexiko«, unterbrach ihn der Papst. »Das weiß man nie. So, und wenn dem so ist wie ich sage, liegt der Hauptakzent vielleicht gar nicht auf unheiliger Nahrungsaufnahme, sondern auf der Idee des Bartes an sich.« »Komm mir nicht mit Platon.« »Warum nicht? Und wenn dem so ist, handelt es sich vielleicht um jenen Bart in uns allen, der in so wunderbaren Worten vorkommt wie Bartender, Bartholo­mäusnacht oder Bart­kartoffeln?!« »Unsinn«, sagte der Papst schroff, »ich zum Beispiel habe keinen inneren Bart, das weiß ich genau. Du willst nur von deinen Sünden ablenken.« Verdammt, verdammt, dachte der heilige Meniscus, ich sollte hier mal langsam zurande kommen, der Hase wird kalt. »Will ich nicht«, sagte er, »ich habe nämlich zur Sicherheit im Neuen Testament nachgesehen«, und dabei dachte er, wenn er den kennt, bin ich angeschmiert, aber welcher Papst kennt schon die Bibel, und er fuhr fort: »Nicht vom Brot allein soll der Mensch leben. Matthäus 4,4.« Der Papst lachte, seine kleinen Schweinsaugen blinzelten vergnügt und er sagte: »Nicht vom Brot allein, es darf auch Hasen­braten sein. Von wegen. Du wirst es nicht glauben, du Schelm, aber den kenne ich. Nicht vom Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Got­tes ausgeht. Da bist du platt, oder?« Der heilige Meniscus nickte betroffen und sah, dass die Haut auf der Soße stabiler geworden war und Trauer war in seinem Herzen. »Du hast gesündigt«, sagte der Papst, »schwer gesündigt, mein Sohn, aber ich, kraft meines Amtes, kann deine Sünden auf mich nehmen so wie Christus die Sünden der Mensch­heit auf sich genommen, auf dass dir der Herr vergebe und du gerettet wirst vor der ewigen Ver­dammnis. Schieb den Hasen rüber.« »Aber er ist kalt.« »Macht nichts.« »Er wird Eurer Heiligkeit nicht bekommen.« »Süß ist dem Märtyrer die Qual.« »Und er ist fett, äußerst fett.« »Umso besser.« »Es ist kein Knoblauch dran.« »Das ist natürlich ein Manko, das meinen Dienst am Herrn aber nicht hindern soll.« »Und dann ist Eure Heiligkeit selbst schon recht stark im Fleisch und es könnte …« »Paperlapapp.« Der heilige Meniscus unternahm einen letzten, heroischen Versuch und sprach mit düsterer aber fester Stimme: »Kalter, fetter Hase in Bordeaux kann einen Mann glatt umhauen.« Der Papst lächelte fein, hob einen kleinen fetten Zeige­finger und sagte: »Betrachte es anders, mein Sohn. Es ist kein kalter, fetter Hase, es ist nur das Objekt deiner Sündhaftigkeit, das es zu neutralisieren gilt. Her mit dem Tierchen.«

Der heilige Meniscus seufzte schwer und tat, wie ihm geheißen, und der Papst machte sich über den Hasen her, sagte zwischendurch mal »lecker, lecker«, arbeitete sich durch das gedünstete Ge­müse, wischte sich mit dem Handrücken den Mund, und als er den letzten Knochen abgenagt, das letzte Rübchen geschluckt hatte, verdrehte er die Augen und fiel vom Stuhl. Seine letzten Worte waren: »Mein Natron, wo ist mein Na­tron?« »Hab ich’s nicht gesagt«, schrie der heilige Meniscus, »hab ich’s nicht gesagt? Aber auf mich hört ja keiner.« Und er schrie: »Liese, Liese«, aber da kam kein Pferd, sondern seine gute Zugehfrau und Trösterin in schweren Stunden, Liese Kloppmann, und er befahl ihr, sofort den Medicus zu holen. Sie nickte nur beflissen und fiel auf der Stelle in einen zügigen Ga­lopp.

Und der heilige Meniscus machte sich Sorgen, schwere Sorgen. Diese Angelegenheit hier gibt schlechte Presse, das war ihm klar, und vielleicht würde er als der erste Heilige in die Geschichte eingehen, der einen Papst gemeuchelt hat. Aber zunächst ging er in die Küche und schenkte sich erst mal ordentlich einen ein. Und da kam auch schon der Medicus, ein würdiger Herr in den mittleren Jahren, der gleich eine Vertrauen erweckende Probe seines Könnens gab, indem er fragte: »Wer zahlt?« »Der Himmel«, antwortete der Hei­lige, und der Medicus grummelte »hmm, hmm«, und dann sah er die Ringe an den Fingern des Papstes, schmunzelte vergnügt und sagte: »So sei es, mein lieber Meniscus.« Er nahm ein Häm­merchen aus seiner Arzttasche und klopfte den Papst sorgfältig von allen Seiten ab, drückte auf der Leber herum und sagte: »Donnerwetter«, setzte ein Hörrohr an die Brust, horchte, und sagte: »Verstopfung.« Und gleich darauf: »Mo­ment mal.« Er setzte das Hörrohr wieder an und horchte erneut, wobei er die Augen zusammenkniff um besser horchen zu können. Der heilige Meniscus stand daneben und klaubte in seinem Bart herum, trat von einem Fuß auf den anderen, und endlich erhob sich der Medicus und sagte: »Hier stößt die Medizin an ihre Grenzen.« »Aus?«, fragte Menis­cus beklommen, aber der Medicus schüttelte den Kopf und sagte: »Mitnichten, er lebt, er ist so le­ben­dig wie du und ich, nur – er hat keinen Herz­schlag, nicht den geringsten, kein Geräusch, kein Klopfen, absolut nichts.« Der heilige Menis­cus riss die Augen auf, begann zu begreifen, klaubte hektisch in seinem Bart herum und keuchte: »Soll das etwa heißen, dass er …, dass er …« »Genau das soll es heißen, bester Freund. Dass er kein Herz hat.« »Ich habe es verloren«, tönte es leise aus dem Papst, der langsam die Augen öffnete. »Deubel auch«, schrie Menis­cus und der Papst fuhr fort: »Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren in einer lauen Sommer­nacht, wir war’n verliebt bis über beide Ohren und wie ein Röschen hat sein Mund gelacht.« Eine große Stille trat ein und da standen sie nun, der Hei­lige und der Mediziner, und schämten sich ihrer Trä­nen nicht. »Helft mir auf«, sagte der Papst und sie hievten ihn auf das Sofa, wo er sich schwer atmend in die Polster sinken ließ. Meniscus trat vor, zupfte verlegen an seiner Nase herum und sagte schließlich: »Aber Hei­liger Vater, dann habt Ihr ja gesündigt.« »Bah«, der Papst blies die Backen auf, »hast du nicht die heilige Luise gelesen?« »Ich kann nicht alle Kollegen kennen, wir sind nicht organisiert.« »Bah, Aus­rede, von Litera­tur keine Ahnung. Eine tief empfindende deutsche Mystikerin, die Dame, und von ihr stammt die Ent­deckung der Quint­essenz allen menschlichen Seins.« »Die da lautet?« »Der Orgasmus ist der Rück­griff auf das Paradies und der Vorgriff auf den Himmel. So, jetzt gib mir mein Natron.« »Leider keins im Haus, Heiliger Vater.« »Jäger­meister?« »Aber ja.« Der heilige Me­nis­cus holte die Familienflasche aus der Küche und schenkte drei Ordentliche ein und sie tranken und er dachte dabei, dass man sich mit dieser heiligen Luise mal näher beschäftigen müsse, der Medicus dachte an sein Honorar und der Papst an die Nach­speise. Und draußen fiel immer noch leise der Regen.

(Heilige Luise, bürgerlicher Name Luise Rinser)

Hans Herbst
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