von Claudia Werning
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Kein Schwarzweißgebäck.*
Aber ich bin ja zum Frühstück eingeladen, nicht zum Kaffee.
Und außerdem ist auch nicht Weihnachten, sondern typisch Hamburger Schietwetter.
Stattdessen stehen Laugenbrezeln auf dem Tisch – eine Reminiszenz an die schwäbische Heimat.
Es wird ein ausgedehntes Frühstück, zu dem sich später ein weiterer Gast gesellen wird. Aber das ahne ich noch nicht, als ich endlich den Hauseingang in dem verwunschenen Garten gefunden habe und die Treppenstufen zu der gemütlichen Altbauwohnung hochsteige.
Und während Alexander Häusser, gebürtiger Reutlinger, Drehbuchautor, Schriftsteller und noch einiges mehr das Kaffeewasser aufsetzt, wandert mein Blick nach draußen über den kleinen Balkon hinaus auf die mächtige Rotbuche – es gibt schlechtere Plätze zum Schreiben.
Der 62jährige hat es nie bereut, die schwäbische Provinz gegen das Tor der Welt eingetauscht zu haben. Dabei sah es anfangs erst einmal nach einem ganz „normalen“ Lebenslauf aus. Trotz des frühen Tods seines Vaters machte der Nachzügler als einziger der drei Geschwister Abitur und studierte in Tübingen Germanistik, Philosophie und Geschichte. Lehrer hat er werden wollen – bis er ein Rhetorikseminar bei Walter Jens besuchte. Beim Ausdruck „Creative writing“ rolle ich trotz des renommierten Namens unwillkürlich mit den Augen. Zu abgenutzt erscheint mir der Begriff, zu inflationär im Gebrauch. Doch Alexander Häusser, der selber Schreibwerkstätten leitet, belehrt mich eines Besseren. „Bei Jens ging es nicht nur ums Handwerkszeug, sondern vielmehr um die Frage ,Was ist mein Thema und warum. Und worüber kann ich nicht schreiben?‘“ Das sei manchmal ans Eingemachte gegangen, habe ihm aber die Welt des Schreibens eröffnet.
Was sein Thema ist, wird spätestens klar, wenn man seinen jüngsten Roman „Noch alle Zeit“ liest – ein wunderbar poetisches Buch mit so viel schönen und klugen Sätzen, dass ich es keinesfalls mehr missen möchte in meinem Regal! Es war der abwesende Vater und die jahrzehntelange Suche nach ihm, die Alexander Häusser und seine Arbeit geprägt haben. Er war erst sieben, als der ehemaliger Wehrmachtssoldat starb. Ein Kerl hart wie Kruppstahl sei sein Vater gewesen, erinnert sich der 62jährige; einer, der selten Gefühle gezeigt habe. Über den Krieg sei wie in vielen Familien kaum geredet worden – aber wenn, dann habe der Vater seine Zeit als Besatzungssoldat in Norwegen als die schönste in seinem Leben bezeichnet. Krieg und Glück als ein Wortpaar – für Alexander Häusser ein Widerspruch, der ihn über all die Jahre nicht ruhen ließ.
Also machte er sich auf nach Norwegen auf Spurensuche. Aber erst die zweite Reise in den Norden, auf der er von seinem norwegischen Schriftstellerkollegen Jorgen Norheim begleitet wurde, brachte die notwendigen Antworten und half ihm, Frieden mit seinem Vater zu schließen.
Als „Grenzgänger auf dem schmalen Grat zwischen Dazugehörigkeit und Fremdsein“ sind es vor allem die menschlichen Abgründe, die Häusser interessieren, die Frage welche Dämonen sich in schwierigen Situationen zeigen und wie man mit ihnen umgeht. Das war schon so im ersten Buch „Memory“, das der Fischer Verlag in der Reihe Junge Autoren 1994 herausbrachte und zeigte sich sehr deutlich auch in „Karnstedt verschwindet“. Einem hintergründigen Roman über eine gefährliche Freundschaft und das Erwachsenwerden – so schade, dass dieses Buch, das beim Erscheinen als eines der ergreifendsten der Saison gefeiert wurde und eine prima Schullektüre abgeben würde, nicht mehr lieferbar ist!
Auch hier gibt es autobiografische Anknüpfungspunkte. „Ich brauche reale Vorbilder als Inspiration. Ich muss Dinge, über die ich schreibe, selbst erlebt haben“, betont der Autor. Ob das nicht von einem Mangel an Phantasie zeuge, werfe ich ungeniert ein. Mitnichten kontert Alexander Häusser. Der Großteil des Erzählten sei ja frei erfunden.
Ob dies das Geheimnis für ein gutes Buch ist? Und überhaupt – wann ist ein Buch ein gutes Buch? „Wenn es gelingt, Empathie zu schaffen für fremde Leben, wenn man reingezogen wird und sich nicht quälen muss“, ist der 62jährige überzeugt. Aufklärung im besten Sinn zu betreiben, dafür sei Literatur da. „Aber Bücher müssen auch mal weh tun“, glaubt er.
Schreiben als Suche – nicht nur nach dem richtigen Stoff und der Antwort auf die Frage, wie sich die große Geschichte auf die kleine auswirkt. Sondern auch und vor allem nach den treffenden Worten. Erfahrungen und Gefühle so fassen können, wie sie sich tatsächlich anfühlen, das ist ihm wichtig. Und so feilt er eigenem Bekunden nach ewig an den Sätzen, bis er sicher ist: „Genau das ist es“.
Ein mühseliges, ein einsames Geschäft. Eines, das auch der Familie Einiges abverlangt. „Manchmal ist man für den Alltag verloren, weil man in Gedanken dauernd bei der Geschichte ist“, gibt er zu. Nicht von ungefähr sind seine Bücher deshalb auch als Dank seiner Frau und seinen beiden Söhnen gewidmet.
Und ein wenig einträgliches ist es meistens obendrein.
Umso erfreuter war der Wahl-Hamburger deshalb auch über verschiedene Stipendien, die er von Künstlerhäusern in Edenkoben, Lauenburg und Worpswede erhielt. „Eine großartige Zeit, auch für die Kinder“, erinnert er sich. „Austausch mit Kollegen, gemeinsame Projekte, fast schon wie in einer Kommune“. Auch die Zeit als Stadtschreiber in Otterndorf mag er nicht missen.
Von den Erfahrungen, die er als Drehbuchautor sammeln konnte, hat der Schriftsteller besonders profitiert: „Das ist eine ganz andere Art des Schreibens“. Da die Ebene des Reflektierens fehle und ständige Rückblenden nicht möglich seien, müsse man ökonomisch arbeiten, um die Handlung voranzubringen. Eine Seite Drehbuch für eine Minute Film laute die Faustregel. „Es hilft, sich kurz zu fassen. Und in Bildern zu denken, hat mein Schreiben sicherlich beeinflusst.“
„Fritz Lang – Der andere in uns“ mit Heino Ferch in der Hauptrolle ist einer der Filme, für die Alexander Häusser als Co-Autor zusammen mit seinem Freund Gordian Maugg das Drehbuch geschrieben hat. Ausgezeichnet mit dem Hessischen Filmpreis heimste der Streifen hervorragende Kritiken ein. Der 62jährige muss das „Blink-Blink“ in meinen Augen bemerkt haben. Denn ehe ich in Gedanken beim Wort „Film“ beinahe schon zwischen Stars und Sternchen auf dem roten Teppich flaniere, holt er mich ganz schnell wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurück. „Als Drehbuchschreiber darf man nicht empfindlich sein, was die Urheberschaft angeht. Ein Film – das ist immer der Regisseur.“
Na denn… Aber Glanz und Glamour passen sowieso nicht zu diesem feinsinnigen Mann. Das Herz des Handwerkersohns schlägt eher für die kleinen Leute. Eine eindringliche Geschichtsstunde ist dem zweiten Vorsitzenden des Hamburger Literaturzentrums, der sich seit Jahren für die Förderung junger Talente und weniger bekannten Schriftsteller engagiert, mit der ARD-Dokumentation „Hungerwinter – Deutschlands humanitäre Katastrophe 1946/47“ gelungen. Monatelang hat er dafür ebenfalls wieder zusammen mit Gordian Maugg Zeitzeugen quer im Land befragt und die bewegenden Erzählungen erst im Film und später im Buch festgehalten.
Um Zeitgeschichte geht es auch in dem Kinofilm „Zeppelin“ – entstanden nach der zweiten Erzählung Häussers: eine Familiengeschichte, die von Pioniergeist, Aufbruch und der Sehnsucht nach der großen weiten Welt handelt. Ein Gefühl, das der Autor nur zu gut kennt.
„Zeppelin“ – kaum schwebt das Wort durch die Küche, lugt auch der zweite Gast am inzwischen schon sehr späten Vormittag um die Ecke – der Kabarettist und Musiker Daniel Malheur aus Berlin. Kennengelernt haben sich die beiden beim Jobben in einem Plattenladen. Zu gerne hätte ich das Programm mal live gesehen, das die zwei schon bald zusammen mit weiteren Künstlern im „Lost Cabaret“ als Hommage an die 20er Jahre auf die Beine stellten. Ausgerechnet einer der „großen Stillen“, wie Schriftstellerkollege Peter Henning Alexander Häusser mal genannt hat, als urkomisches Faktotum auf der Bühne?!
Aber die szenische Lesung, der ich am Abend folgen darf, mit Zeppelingeräuschen im Hintergrund, echter Grammophonmusik und einem wahren Sangeskünstler mit Frack und Monokel entschädigt mich für das Verpasste. Und vermittelt eine Ahnung davon, auch welch komödiantisches Talent in dem Beatlesfan steckt, der sich das Schlagzeugspielen selbst beigebracht und für seine Schülerband Texte geschrieben hat. „Wir waren vermutlich die ersten, die auf Deutsch gesungen haben“, schmunzelt der 62jährige.
Ach, noch vieles ließe sich erzählen über diesen Autor – über seine Lesung zugunsten des Hamburger Ledigenheims, einer sozialen Einrichtung für alte Seemänner und Hafenarbeiter, deren Existenz bedroht ist. Oder über sein Feature von 2009 über die deutsche Beteiligung an multinationalen Streitkräften – heute aktueller als je zuvor. Oder die Betreuung eines Inklusionsschülers, die er als große Bereicherung erachtet. Indes – der Soundcheck ruft…
Und während ich hier zu später Stunde über diesen Zeilen brüte, wandern meine Gedanken zurück an den Küchentisch nach Hamburg, wo Alexander Häusser jetzt vermutlich bei Ambientemusik an seinem neuen Roman tüftelt – nachts, wenn die Welt stillsteht.
Ich kann es kaum erwarten!!!
P.S.* Das Schwarzweißgebäck bezieht sich auf eine Geschichte, die Alexander Häusser für den Blog des Pendragon Verlages geschrieben hat. Er kann auch gar nicht backen!
Pendragon
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