Plädoyer für den Kriminalroman

»Das Lesen von Kriminalromanen gehört zu den Dingen, die man zwar gerne tut, von denen man aber nicht gern spricht«, schreibt Richard Alewyn in seinem Aufsatz Anatomie des Detektivromans. »Man kann seinen Ruf kaum wirksamer gefährden«, fährt er fort, »als indem man sich ernsthaft damit befaßt, zumindest in deutschen Landen. Anstößig ist seine Popularität, und für anstößig gilt sein Thema.«

Wenn man einen Kriminalroman loben will, attestiert man ihm folglich häufig, im Grunde gar keiner zu sein. Mit dem Buch Die schwarzen Vögel hat Maarten’t Hart einen »philosophischen Kriminalroman« geschrieben, behauptet der Rezensent der Zeit. »Mehr als das whodunit bewegt ihn (= den Autor) deswegen auch die Frage nach der größtmöglichen Distanz zwischen Liebenden.« (Wallmann, Zeit, 49/1999) Phythagorasmorde von Guillermo Martinéz ist zugleich ein Krimi und eine Poetologie des Kriminalromans und ein Essay über die Grenzen des menschlichen Verstehens überhaupt, voller »Tempo, Anspielungsreichtum und philosophischem Raffinesse« (Gohlis, Zeit, 10.3.2005). Fred Vargas ist es mit dem Krimi Der vierzehnte Stein gelungen, »Akkordeon und Sprache zu einem ganz eigenen, unerhörten Klang zu vereinen.« Wie in einem Planetensystem folgen ihre Figuren ihrer persönlichen Gravitation, Tänzern gleich, die nach jahrelangem Training ihren Körperschwerpunkt in eine Fußspitze legen können. (Gohlis, Zeit, 14.4.2005) Friedrich Anis Kriminalromane um Kommissar Tabor Süden sind eine »élégie humaine« (Gohlis, Zeit, 26/2005), und wie Natsuo Kirino mit Die Umarmung des Todes »einen packenden Plot mit wirklichkeitsnah-illusionslosen, sozialkritischen Einblicken verbindet, kündet von schriftstellerischer Meisterschaft internationalen Ranges«. (Hijiya-Kirschnereit, FAZ, 13.10.2003) Die Rezension von Jan Seghers Ein allzu schönes Mädchen geht noch einen Schritt weiter. Dort steht: »Es handelt sich um Literatur, wenn auch mehr um U als E. Aber was heißt das schon?« (Greiner, Zeit, 25.3.2004)

Nun, es heißt unter anderem, daß Kriminalromane nach wie vor mit einer gewissen Geringschätzung gelesen werden, wenn sie denn überhaupt gelesen werden. – Immerhin lesen die wenigsten im Eisenbahnwagen Bücher, die sie zu Hause im Regal stehen haben, kaufen lieber, was sich im letzten Augenblick ihnen bietet […] weniger aus Lesefreude als im dunklen Gefühle, etwas zu tun, was den Göttern der Eisenbahn wohlgefällt. (Benjamin) – Aber wie berechtigt ist diese Geringschätzung, der Vorwurf, daß der »verachtete Bruder des Romans« (Glauser) keinen Anspruch erheben darf, zu den Kunstwerken zu zählen?

Der Kriminalroman ist populär. Über seine Verbreitung gibt es phantastische Statistiken. Mehr als ein Titel ist in Hunderten von Millionen Exemplaren in Umlauf. Was kann an einer solch erfolgreichen Gattung Gutes sein, mag sich mancher fragen, aber wird umgekehrt eine Krankheit für den Mediziner dadurch weniger interessant, daß sie epidemisch auftritt? (Alewyn)

Der Kriminalroman handelt vom logischen Denken, dementsprechend hat er ein Schema. Darauf kommt es aber nicht an. Wer, zur Kenntnis nehmend, daß ein Zehntel aller Morde in einem Pfarrhof passieren, ausruft: Immer dasselbe! der hat den Kriminalroman nicht verstanden. Er könnte ebensogut im Theater schon beim Aufgehen des Vorhangs ausrufen: Immer dasselbe! (Brecht)

Ein Kriminalroman ist spannend. Die Ansicht, daß die Art von Schauspiel oder Erzählung die beste sei, in der von Anfang bis Ende nichts besonderes geschieht, ist weit verbreitet, dabei hatte schon Aristoteles »einen kräftigen Appetit auf das Grausame« und sich mit den »schmutzigen Verwicklungen in der Familie des Agamemnon« oder dem »vergifteten Pfeil Philoktets« beschäftigt. Aristoteles setzte sich mit dem zeitgenössischen griechischen Theater auseinander, weil es zu seiner Zeit die am leichtesten zugängliche, meistverbreitete und demokratischste Form volkstümlicher Unterhaltung darstellte, aber was er sich zuinnerst wünschte, war eine gute Detektivgeschichte; es war nicht seine Schuld, daß er zwei Jahrtausende zu früh lebte. (Sayers)

Ein Kriminalroman kommt zudem nicht per se in »anspruchsloser, klischeegesättigter Alltagsprosa« (von Uthmann) daher. Formale Kunstfertigkeit, sprachliche Finesse, Sinn für Dramaturgie, Detaildichte, präzise Charakterskizzen, glaubwürdig gezeichnete Nebenfiguren und so weiter verleihen vielen Krimis Tiefe und Weltläufigkeit. Schon Thomas de Quincey hat in seiner Schrift Murder considered as One of the Fine Arts die These aufgestellt, »daß zur künstlerischen Vollendung einer Mordtat doch etwas mehr gehört als zwei Dummköpfe, einer, der tötet, und einer, der getötet wird, ein Messer, eine Brieftasche und eine dunkle Gasse«, nämlich »Sinn für Gruppierung und Beleuchtung, poetisches Empfinden und Zartgefühl.«

Kurzum, zur Verteidigung des Kriminalromans ist zu sagen, daß er keiner Verteidigung bedarf. Obwohl man ihn heute mit einer gewissen Geringschätzung liest, bewahrt er doch eine Form von Ordnung in einer Epoche der Unordnung. Das ist ein guter Grund für uns, ihn zu schätzen, und das macht ihn verdienstvoll. (Borges)

Katja Cassing

Katja Cassing

Als gelernte Japanologin hat die Verlegerin und Übersetzerin Katja Cassing es sich zur Aufgabe gemacht, japanische Romane zu entdecken, die auf dem deutschen Markt noch weitgehend unbekannt sind. Sie möchte mehr solche Texte in deutscher Sprache verfügbar machen, eine Brücke zwischen den Kulturen schlagen. Etwas Kreatives zu schaffen, das einen überlebt ist für die Verlegerin der größte Ansporn. Da diese Arbeit sie erfüllt, arbeitet sie oft auch bis zum Umfallen. Vermutlich wäre sie auch vor lauter Arbeit schon verhungert, wenn sie nicht ebenso leidenschaftlich kochen und essen würde.
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