Einst lebte eine Katze allein draußen in der Wildnis. Nach einiger Zeit der Einsamkeit beschloss sie, es sei an der Zeit, einen Gefährten zu wählen. Ein Wildkater fiel ihr ins Auge; er schien ihr das herrlichste Geschöpf des Dschungels zu sein und somit ihrer würdig.
Eines schönen Tages streiften sie gemeinsam durch das hohe Gras als plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, ein Leopard in ihren Weg sprang, Zähne gefletscht und Krallen ausgefahren. Ein einziger Hieb mit der Tatze genügte, und der prächtige Kater lag reglos am Boden.
„Miau“, sagte Katze, die im Angesicht der Gefahr ganz ruhig blieb. „Ich sehe, der Kater ist doch nicht das herrlichste Geschöpf im Dschungel. Das bist du, Leopard.“
Und weil der Mut dieser kleinen Katze den Leoparden beeindruckte, tat er sich mit ihr zusammen und die beiden wurden ein Team.
Alles schien gut, bis eines Tages, als sie gemeinsam jagten, ein Löwe mit einem mächtigen Satz aus den Schatten sprang. Er schleuderte den Leoparden zu Boden und verbiss sich in seinem Nacken. Es dauerte nicht lang, bis sich der einst stolze Leopard nicht mehr rührte.
„Miau“, sagte Katze und setzte sich gelassen auf die Hinterbeine. „Ich sehe, der Leopard ist wohl doch nicht das herrlichste Geschöpf im Dschungel. Hallo, Herr Löwe.“
Der Löwe fand die Gelassenheit der Katze faszinierend, und so stimmte er zu, sich mit ihr zusammen zu tun.
Der König des Dschungels wurde zum Reittier; er stolzierte durch das Unterholz, während die Katze auf seinem Rücken thronte. Alles schien gut, bis eines Tages unverhofft eine riesige Gestalt vor ihnen auftauchte. Die Katze sprang leichtpfotig und gerade rechtzeitig vom Rücken des Löwen, als sich ein Schatten über ihnen erhob. Der Löwe aber reagierte zu spät und wurde sogleich unter dem Fuße des Elefanten begraben.
„Miau“, sagte Katze und blickte interessiert nach oben. „Ich sehe, auch der Löwe ist nicht das herrlichste Geschöpf im Dschungel. Das ist der Elefant.“
Der Elefant fand die kleine Katze mit dem großen Selbstvertrauen bemerkenswert. Er schlang den Rüssel um sie und hob sie hoch, setzte sie auf seinen Kopf, wo sie sich schnurrend zwischen den riesigen Ohren niederließ.
Von dort oben genoss sie den Ausblick, bis eines Tages, als der Elefant gerade durch das hohe Schilf am Flussufer watete, ein lauter Knall erscholl. Die Katze spürte, wie ihr Gefährte zu Boden sank und sah sich um. Dort, zwischen den Bäumen, stand ein kleiner Mann mit einem langen, qualmenden Rohr in der Hand.
„Miau“, sagte Katze, milde überrascht. „Ich sehe, das herrlichste Geschöpf im Dschungel ist nicht der Elefant, sondern dieser kleine Mann.“
Und sie folgte ihm auf seinem Weg aus dem Dschungel hinaus bis in ein gemütliches Dorf. Der Mann wollte sie in sein Haus locken, doch sie ignorierte die merkwürdigen „pspsps“-Geräusche, die er machte, und sprang elegant aufs Dach.
„So!“, dachte sie sich. „Der Mann muss nun aber wirklich das herrlichste Geschöpf in diesem Lande sein. Hier werde ich bleiben.“
Und sie fläzte sich auf dem Strohdach in der Sonne, jagte die Ratten und Mäuse im Dorf und war rundum zufrieden mit sich und der Welt. Eines Tages, sie thronte gerade auf ihrem Dach und leckte sich das Fell, ertönte unter ihr plötzlich ein großes Getöse. Der Mann und seine Frau brüllten einander an, etwas klirrte, schepperte, es wurde immer lauter und lauter, bis schließlich die Tür aufflog und der Mann hinaustaumelte. Verängstigt blickte er sich um und floh regelrecht vom Hofe.
Die Frau stand, die Hände in die Hüften gestemmt, im Türrahmen und schaute ihm siegessicher hinterher. Dann blickte sie empor und lächelte der Katze zu.
„Mi-au!“, sagte die Katze da. „Jetzt weiß ich wirklich, wer das herrlichste Geschöpf auf dieser Welt ist. Das ist die Frau.“
Und die Katze sprang vom Strohdach herunter, strich der Frau um die Beine und spazierte ins Haus, wo sie sich in der Küche vor den warmen Herd setzte.
Da sitzt sie heute noch.
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Ein abgeänderter Auszug aus Alexander Grubers „Tiermärchen vieler Völker Band 9: Afrika„, 2023 erschienen bei Pendragon.
Pendragon
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- Blogbeitrag Header (1): ractapopulous, pixabay
Schöne Geschichte, meine Kater und Katzen sahen das auch so, nur das ich die Bezugsperson war/ bin. Und meine Frau?Nur wenn ich weg war.