Von Claudia Werning
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Buch-hand-lung, Substantiv, feminin – Geschäft, in dem Bücher verkauft werden.
Ganz nüchtern betrachtet stimmt das natürlich.
Davon, dass eine Buchhandlung so viel mehr sein kann als nur schnöder Verkaufsraum, erzählt der Duden nichts – nämlich ein verlockender Schlüssel zu einer Welt voller Abenteuer, ungeahnter Begegnungen und magischer Momente. Von diesen „Leuchttürmen im Büchermeer“ *, die Pendragon besonders verbunden sind, soll hier in loser Folge die Rede sein.
Friedrichsort: ein kleiner Stadtteil am Rande von Kiel, ganze 40 Busminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Weil man hier vielleicht nicht unbedingt eine Buchhandlung erwartet, gibt es unter den Bäumen gegenüber der Haltestelle ein weißes Hinweisschild. Wenn man ihm folgt, kann man sie ein paar Meter weiter, etwas versteckt unter einem Parkdeck, auch schon sehen: die Buchhandlung Almut Schmidt. Auf den ersten Blick deutet nichts auf den besonderen Geist hin, der diesem roten Backsteingebäude innewohnt: Regalwände voller Bücher verleiten zum Stöbern, gelbe Gladiolen erzählen von den letzten Spätsommertagen, hohe Stühle mit aus Binsen geflochtenen Sitzen laden zum Verweilen ein.
Und mittendrin die Buchhändler Sonja und Hauke Harder. „Bei uns kann man finden, was man nicht sucht“, lautet das Motto des sympathischen Paares. Eine Devise, die Ansporn und Erfolgsrezept zugleich zu sein scheint und für den guten Ruf der Buchhandlung weit über Kiel hinaus sorgt.
Als die beiden vor zwölf Jahren den 1986 gegründeten Laden übernahmen – uneitel wie sie sind, wurde der alte Name einfach beibehalten – war das Angebot eher literarisch orientiert. Mittlerweile ist auf jetzt 100 Quadratmetern ein breit gefächertes Programm für Jung und Alt zu finden. Und präsent sind eben auch jene Bücher, die nicht überall ausliegen und dem Mainstream entsprechen. „Wir wollen ebenso auf die Titel aufmerksam machen, die sonst untergehen würden,“ beschreiben die beiden ihr Anliegen.
Angesichts der Flut an jährlichen Neuerscheinungen eine Herkulesarbeit. Gleich einem Trüffelschwein durchkämmen die beiden die Vorschauen der Verlage, reden ausführlich mit Vertretern, informieren sich auf den Blogs der Literaturbegeisterten. Und stoßen so das eine ums andere Mal auf einen Leseschatz, der gehoben werden will.
Freilich kann ein Krimi noch so spannend, ein Roman noch so fesselnd sein, wenn er nicht den Weg zum Käufer findet. In einem Geschäft in „2c-Lage“, wie Hauke Harder witzelt, ein zusätzliches Problem.
Und hier kommen die sozialen Medien ins Spiel, deren Klaviatur der Heavy-Metal-Fan grandios beherrscht. Ob Facebook oder Instagram, ob Blog oder Leseschatz-TV – es gibt keinem Kanal, den er nicht bedient. Hauke Hader ist überzeugt: „Man muss ein Rauschen um sich schaffen, unsere Leidenschaft fürs Buch muss sichtbar gemacht werden.“ „Uns“ schließt selbstverständlich auch Ehefrau Sonja ein, die allerdings lieber hinter als vor der Kamera agiert. „Die Rampensau bin eher ich“, gibt Hauke Harder zu.
Und tatsächlich erzeugt diese Buchhandlung im hohen Norden ein Rauschen, das weit über die Region hinaus zu hören ist – kaum ein Tag, an dem der passionierte Radfahrer nicht etwas postet, und sei es nur ein Bild von „den Jungs“, wie ihre beiden Katzen liebevoll genannt werden.
Doch es ist keineswegs nur die Quantität, mit der Hauke Harder bundesweit auffällt, es ist vor allem die Qualität seiner Beiträge. Vorgestellt werden nur solche Geschichten, die ihn persönlich überzeugt haben. „Ich will fürs Buch begeistern und investiere keine Zeit für die Besprechung von vermeintlich schlechter Lektüre“, erklärt der 49jährige. Überhaupt finde er es anmaßend, ein Buch öffentlich niederzumachen. Autor und Verlag hätten sich ja schließlich etwas dabei gedacht. Er hingegen wolle eher seine eigenen persönlichen Leseerfahrungen vermitteln – einfach aus dem Bauch heraus.
„Ich mache das alles spontan und wenn ich Lust dazu habe“, erzählt er. Die Videos und Bilder werden einfach im Laden während des laufenden Betriebs aufgenommen. Und so kommen sie dann auch rüber – ohne jeden Schnickschnack, gänzlich ungekünstelt und unverstellt. Auch die schriftlichen Rezensionen entstehen hier, die von Sonja Harder dann Korrektur gelesen werden.
So viel Engagement bleibt natürlich nicht verborgen. Inzwischen gilt Hauke Harder als eine Instanz, deren Urteil gefragt ist. So manches Verlagsmanuskript gelangt schon vor der Veröffentlichung in seine Hände mit der Bitte um eine Einschätzung. Und nicht nur bei Pendragon sind seine Kurzrezensionen auf der Buchrückseite abgedruckt. Auch in diversen Literaturzeitschriften sind seine Empfehlungen willkommen. Autoren aller Couleur sind regelmäßig in der Buchhandlung zu Gast, um vor laufender Kamera Rede und Antwort zu stehen. Und in diesem Jahr gehört der umtriebige Buchhändler sogar zu jenen Bloggern, die offiziell einen für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman rezensieren dürfen. Eine Ehre, die nicht jedem zuteilwird.
Es gibt Naturgesetze, die sind unabänderlich. Dass ein Tag nur 24 Stunden hat, gehört dazu. Für Sonja und Hauke Harder scheint dieser Grundsatz allerdings nicht zu gelten, angesichts der Fülle an Büchern, denen sie sich stets zugewandt und aufgeschlossen widmen. „Ich lese schnell“, gesteht Harder. „Und noch mal einen Zacken schneller, wenn der rechte Daumen weniger Seiten zu halten hat als der linke.“ Einen E- Reader zu benutzen, käme ihm im Traum nicht vor. Hauke Harder braucht die Haptik eines gebundenen Buches, das Knistern der Seiten, den Geruch des Papiers. Und so medienaffin der Genussleser auch ist – dass nur der Digitalisierung in den Schulen das Wort geredet wird, sieht er durchaus kritisch. Er spricht vom Körpergedächtnis, das sich beim Lesen von Gedrucktem entwickele, von sinnlicher Erfahrung, die das Blättern vermittele. Das Buch an sich müsse wieder in den Mittelpunkt gerückt werden und dürfe nicht zum Luxusprodukt werden.
Harders Kunden kommen mittlerweile nicht mehr nur aus der Nachbarschaft – eher im Gegenteil. So mancher Käufer setzt sich einfach ins Auto und fährt quer durch die Stadt, um sich von den beiden beraten zu lassen. Selbst ein Leser aus Süddeutschland schaue auf seinem Weg in den Urlaub regelmäßig bei ihnen vorbei, um dann mit einem Bücherstapel weiterzufahren, erzählen die Haders. Die Kunden profitieren alle von den mitunter unterschiedlichen Leseweisen der beiden Buchhändler. Mit einem Schmunzeln im Gesicht erinnern sie sich an eine Kundin, die Hauke Harders Empfehlungen mit den Worten „Du liest zu feminin“ ablehnte und sich stattdessen lieber von Sonja Harder beraten ließ.
Und doch ist freilich nicht alles eitel Sonnenschein. Hauke und Sonja Harder kennen auch die Schattenseiten, die der Beruf des selbständigen Buchhändlers mit sich bringt. An den Folgen der Corona-Epidemie knabbern sie noch heute – mussten die zuvor gewährten staatlichen Beihilfen doch wieder zurückgezahlt werden. Man stünde ja nicht unmittelbar vor dem Aus, habe die Begründung gelautet.
Acht-Stunden-Tag? Mitnichten. Urlaub? Nicht drin, der letzte liegt elf Jahre zurück. Entbehrungen in Kauf zu nehmen sei Voraussetzung, um bestehen zu können. „Wenn man das nicht mit Liebe und Leidenschaft macht, geht es nicht“, sind sich die beiden einig, die den Beruf von der Pike auf gelernt und zwischenzeitlich auch in einem Verlag gearbeitet haben. Dass sie beruflich wie privat ein Paar sind, empfinden sie als Vorteil.
Energie tanken die Botschafter des Buches, als die sie sich verstehen, an langen Wochenenden und Feiertagen, an denen es oft auf dem Rad in die Umgebung geht. In der Satteltasche immer dabei einen Leseschatz, der auf Bänken oder Mauern deponiert oder gleich einem Leser in die Hand gedrückt wird, der die beiden mit „Hallo, Leseschatz“ begrüßt.
Auf einen weiteren Kurztrip können sich Sonja und Hauke Harder Anfang Oktober freuen. Dann geht es zur Verleihung des Deutschen Buchhandlungspreises nach Stuttgart. Zum vierten Mal gehört ihre Buchhandlung zum Kreis der Nominierten. Ob sie es dieses Mal auf das Siegertreppchen schaffen? Sie hätten es verdient.
Wir drücken jedenfalls fest die Daumen!
Wer nun gern ein paar „Leseschätze“ entdecken möchte, kann dies auf Youtube oder dem Blog der Buchhandlung tun!
*P.S.: Das Zitat stammt von Hauke Harder – das schöne Bild muss einfach weitergetragen werden!
Pendragon
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