Leichen tauchen auf und verschwinden wieder, Bösewichte kommen und gehen, Menschen werden verloren und gefunden.
Eine Konstante in Frau Maiers Leben und in ihren Fällen aber bleibt: der große See und ihre große Liebe zu ihm. Diese Liebe ist unerschütterlicher als die zum Mann ihres Lebens – vergleichbar ist sie wahrscheinlich nur mit der Liebe zu Elvis Presley.
Der See begleitet Frau Maier und sie lässt sich von ihm begleiten. Genau das fällt ihr ansonsten oft schwer im Leben.
Zu jeder Jahreszeit und zu jeder Tageszeit ist der See für sie da.
Immer anders und immer gleich.
„Der See lag zu ihrer Rechten. Heute, an einem kalten Tag im Februar, sah er dunkel und trüb aus. Die Berge im Hintergrund waren deutlich sichtbar und mit Schnee bedeckt.
Vom ersten Tag an hatte der See Frau Maier in seinen Bann gezogen. Jeden Tag sieht er anders aus, hatte sie im ersten Jahr am See gedacht. Nach einigen Jahren hatte sie bemerkt, dass er fast jede Stunde anders aussah. Und mittlerweile wusste sie: In jedem Moment veränderte er seinen Ausdruck und sie konnte inzwischen jedes seiner Gesichter lesen.“ (Frau Maier fischt im Trüben)
„Der See gab keine Antwort, sondern lag dunkel und unergründlich und still vor ihr.
Wenn das Wasser fast schwarz aussah so wie heute, dann konnte man sich gut vorstellen, wie tief der See war. Einige Leichen gab es dort an den tiefsten Stellen. Menschen, die ertrunken und nie gefunden worden waren. Ob dort um sie herum wohl auch einige Fische gründelten?“ (Frau Maier fischt im Trüben)
„Frau Maier saß am Ufer, genau da, wo sie die Leiche gefunden hatte. Nichts erinnerte mehr daran. Das Wasser lag glatt und dunkelblau vor ihr und hinter den Bergen bündelte sich das letzte Licht.
Vor Kurzem noch war der See aufgewühlt gewesen und trüb, jetzt hatten sich alle aufgewirbelten Teilchen wieder auf den Grund abgesenkt. Ob die Fische wohl schliefen?“ (Frau Maier fischt im Trüben)
„Es war ein schöner Nachmittag und das Wasser schimmerte verlockend blau. Doch Frau Maier wusste, dass es vom Winter noch eisig kalt war.
Sie spürte auf einmal eine große Vorfreude auf den Tag, an dem es endlich warm genug wäre, um sich hineingleiten zu lassen. Um einzutauchen in den großen See und weit hinaus zu schwimmen. Auf die Berge zu, immer weiter, bis die Vernunft einen ermahnte, doch wieder umzukehren. Der Rückweg zum Ufer war nie so befreiend und herrlich wie das Hinausschwimmen aufs offene Wasser.“ (Frau Maier hört das Gras wachsen)
„Sie schaute auf den See hinaus. Auf die große, ruhige Wasserfläche, die sich von nichts beeindrucken ließ. Selbst von Wind und Wetter nicht. Denn auch wenn der größte Sturm tobte, wenn er das Wasser in großen Wellen ans Ufer trieb und die Gischt den See zu einem kochenden Kessel machte, dann war hinterher alles so, als wäre nie etwas gewesen. Wenn überhaupt möglich, dann lag der See nach einem solchen Unwetter nur noch glatter, ruhiger und klarer da, in seinem Becken, umrahmt von den Bergen, Wiesen und Bäumen.
Heute war er wie schon die letzten Tage hellblau und spiegelglatt. Die laue Frühlingsluft war ganz still. Aber unter der Wasseroberfläche, dachte Frau Maier, da flitzen die Fische herum. So schnell, dass man sie kaum fassen konnte, so wie ihre unruhigen Gedanken.“ (Frau Maier hört das Gras wachsen)
„Der See glänzte in der Morgensonne wie ein glattes, blaues Juwel. Die Luft, die Frau Maier auf dem Oberdeck umspülte, war morgendlich frisch. Der Fahrtwind trieb ihr die Tränen in die Augen, aber sie wollte sie auf keinen Fall zumachen. Zu schön war dieser Anblick. Sie wollte keine Sekunde davon verpassen. Die Berge kamen mit jedem Meter, den sich das Schiff durch den See pflügte, näher und der Himmel war wolkenlos.
Hätte Frau Maier gewusst, was sie auf der Insel erwartete, hätte sie die Dampferfahrt an diesem frühen Sommermorgen vermutlich weitaus weniger genossen.“ (Frau Maier sieht Gespenster)
„Die Sonne war noch tiefer gesunken. Ab einem bestimmten Punkt ging es ganz schnell und man konnte förmlich zusehen, wie sie hinter dem See versank.
Über der Wasseroberfläche tanzten die Mücken und Bremsen. Und nicht nur dort. „Mistviech!“ Mit einem energischen Schlag hinderte Frau Maier ein Exemplar daran, sie in den Arm zu stechen.“ (Frau Maier sieht Gespenster)
„Als Frau Maier vor der Telefonzelle bei der Anlegestelle stand, da konnte sie sich nicht wirklich erinnern, wie sie dorthin gekommen war. Natürlich wusste sie, dass sie den Weg durch den Wald gegangen war, und dann am See entlang in Richtung Steg. Aber sie hatte nichts wahrgenommen.
Nicht die Touristen, die ihr entgegengekommen waren. Nicht das Sonnenlicht, das sich in den Baumkronen brach. Nicht den leuchtend blauen See. Nicht die vielen Segelboote. Nicht den Dampfer, der voll besetzt Kurs auf den Steg nahm, während die Touristen darauf den vorbeifahrenden Booten winkten.
Sie war völlig in Gedanken versunken gewesen.“ (Frau Maier sieht Gespenster)
Jessica Kremser
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Bildquellen
- Die Sonne war noch tiefer gesunken.: Jessica Kremser
wunderschöne fotos von einem wunderschönen see und es ist kein wunder, das die frau maier sich dort sooo wohl fühlt!
lg von der numi