Autorenportrait: Gabriel Herlich

Von Claudia Werning
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Es war im Deutschunterricht.

Genauer gesagt eine Passage in einem kleinen Reclamheftchen, die Gabriel Herlich die Augen öffnen sollte. Dass er offenbar „anders“ war. Und dass man Menschen seiner Herkunft voller Vorurteile begegnete. Hatte er etwa auch eine Hakennase und Plattfüße wie die im Text beschriebene Person?

Dass er jüdisch war – daran hatte der Junge bislang keinen einzigen Gedanken verschwendet. Auch nicht verschwenden müssen. In einem jüdischen Umfeld war es für den Heranwachsenden das Normalste der Welt, neben dem ABC auch die hebräischen Buchstaben zu lernen und gemeinsam Feste wie Rosch ha-Schana zu feiern.

Gabriel Herlich war irritiert. Erst recht, als er nach dem Wechsel von der jüdischen Schule aufs Gymnasium feststellen musste, dass er dort offensichtlich der Einzige dieses Glaubens war. Erst heute kann er nachvollziehen, warum dieser Tatsache seitens seiner Mitschüler und Lehrer so viel ehrliche Neugier und freundliche Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Damals fand er es mehr als befremdlich.

Gleichwohl nutzte er die Gelegenheit, seinen Klassenkameraden Einblicke in jüdisches Leben und Kultur zu vermitteln, hielt Referate und las sogar aus der Thora vor – mit Tallit und Teffilin.

Auch wenn Gabriel Herlich eigenem Bekunden nach persönlich keine diskriminierenden Erfahrungen gemacht hat, war es vielleicht gerade dieses Schlüsselerlebnis, das im gebürtigen Frankfurter über die Jahre hinweg eine Frage reifen ließ: Warum werden Menschen aufgrund ihrer Herkunft gehasst? Und was kann man dagegen tun?

Gabriel 2

Es sollte aber noch dauern, ehe sich der mittlerweile 35jährige auf die literarische Suche nach einer Antwort machte. Und die Geschichte eines jungen Mannes zu Papier brachte, der in antisemitische Kreise gerät und erst durch die Liebe zu einem jüdischen Mädchen zum Umdenken bewogen wird. Ganz bewusst verzichtete Herlich dabei auf das übliche Klischee vom arbeitslosen, glatzköpfigen und Springerstiefel tragenden Nazi – im Gegenteil: Donnie, die Hauptfigur des Romans, ist Kunststudent, stammt aus gutem Hause und hat durchaus sympathische Züge. Diese Story als Jude aus der Sicht eines Fremdenfeindlichen zu schreiben, fand Herlich gleichermaßen spannend wie herausfordernd.

Aber erst einmal hieß es, in der Berufswelt Fuß zu fassen. Nach dem Abi zog es den pragmatisch veranlagten jungen Mann mit den Leistungsfächern Deutsch und Mathe zum Studium der Betriebswirtschaft nach Wien – als österreichischer Staatsbürger mit dortiger Verwandtschaft eher ein Heimspiel denn ein Auslandsaufenthalt. Weiter ging es nach Grenoble und von dort wieder zurück nach Deutschland, wo es ihn nach mehreren Praktika schließlich in die Marketingabteilung eines Tech- Konzerns nach Hamburg verschlug. Er war begeistert und blieb. Die Dachgeschosswohnung auf St. Pauli unweit der Reeperbahn hat der Vater einer kleinen Tochter mittlerweile gegen ein Quartier im bunten Viertel St. Georg vertauscht – Berührungsängste kann man Herlich wahrlich nicht nachsagen.

Auf sein Debut als Autor hat sich der Betriebswirt genauso zielstrebig wie auf seine berufliche Karriere vorbereitet. „Ich hatte ja keine Ahnung vom Schreiben“, gesteht er. Deshalb ließ er sich von einem Schreibcoach einige Tipps und Kniffe verraten, ehe er sich an den Schreibtisch setzte. Und hielt den Plot zunächst akribisch in einer Tabelle fest. „Ich bin sehr strukturiert“, räumt der Wahlhamburger ein, der sich in der Hansestadt sichtlich wohl fühlt.

Freilich musste er sehr schnell feststellen, dass die Figuren ein Eigenleben entwickelten. „Es nützt nichts, eine Liebeszene auf Seite 60 zu planen, wenn der Rest nicht passt“, schmunzelt der Vielleser, der den täglichen Weg zur Arbeit per Fuß entlang der Alster zurücklegt. „Da kann ich in Gedanken schon mal die anstehenden Aufgaben durchgehen oder auch wieder herunterkommen.“ Oder mit Begeisterung nebenbei Hörbücher konsumieren.

Wichtig war und ist dem 35jährigen, den Opfern des Holocausts im Roman wie im wirklichen Leben ein Gesicht zu geben. „Es ist nicht damit getan, im Geschichtsunterricht einfach irgendwelche Zahlen auswendig zu lernen und hinterher wieder zu vergessen“, betont er eindringlich. Gabriel Herlich weiß, wovon er spricht. Sein Großvater hat mehrere KZ überlebt, dessen erste Frau und der gemeinsame Sohn wurden jedoch ermordet. Gesprochen wurde darüber in der Familie aber nie. „Ich kenne bis heute nicht ihre Namen“, bedauert Herlich. Damit ihr Schicksal nicht in Vergessenheit gerät, habe sein Vater Rafael eine Gedenktafel anfertigen und auf dem Grab des mittlerweile verstorbenen Großvaters aufstellen lassen. Und so wie der in Tel Aviv geborene Fotograf es sich zur Aufgabe gemacht hat, jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen, so wichtig ist es auch dem Sohn, die Erinnerung an die Shoah präsent zu halten.

Ein Jahr brauchte der Filmliebhaber, ehe das Roadmovie fertig war. Herlich erinnert sich noch genau, wie aufgeregt er war, als das Buch dann in Druck ging. „Man hat keine Kontrolle mehr und muss abwarten.“ Dass die eigene Mutter vom Roman überzeugt war, schmälerte die Nervosität nicht. Erst als die ersten wohlwollenden Kritiken erschienen, die dem Autor bescheinigten, ein ernstes Thema leichtfüßig umgesetzt zu haben, löste sich die Anspannung.

Bleibt die Eingangsfrage. Hat der junge Vater darauf eine Antwort gefunden? Gabriel Herlich zögert: „Es gibt nicht die eine Antwort“, ist er mittlerweile überzeugt. Bei seinem Protagonisten sei es die Einsamkeit und mangelnde Anerkennung gewesen, die ihn zum Mitläufer habe werden lassen. Allzu gerne würde Gabriel Herlich einmal mit Rechtsradikalen und Fremdenfeindlichen über deren Motive reden. Denn anders als im Roman, der vielleicht nicht mit dem erwarteten Happy End, aber zumindest mit einem blauen Auge für Donnie ausgeht, scheint es in der Realität bis zu einem guten Schluss noch ein weiter Weg zu sein.

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