Auf dem Weg nach Unterlingen…mit Thomas Knüwer

„Die alte Frau liegt im Dreck und lächelt. Es ist gerecht, denkt sie. Schuld schwimmt oben. Die Beine kann sie nicht bewegen. Erst hat er das linke, dann das rechte mit dem Spaten zertrümmert…Die alte Frau dreht den Kopf. Das Grab ist nur einen Steinwurf entfernt…“

Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Weiterlesen oder lieber abbrechen? Doch gegen die Sogwirkung bin ich machtlos und schnell weicht die Beklemmung der Neugier – nicht nur auf diesen außergewöhnlichen Krimi, sondern auch auf den Autor. Was ist das für einer, der für sein Verlagsdebut einen derart erbarmungslosen Einstieg gewählt hat?
Ich treffe Thomas Knüwer in der Hamburger Speicherstadt, wo er in einer der weltweit größten technologieorientierten Kreativgruppen als Chief Creative Officer tätig ist. Marketing statt Kaffeehandel lautet schon seit Jahren die Devise in diesem altehrwürdigen Backsteingebäude. Nichts deutet in den weitläufigen und gläsernen Büros mehr auf dessen bewegte Geschichte hin. Tatsächlich nichts? „Beim Verlegen des neuen Fußbodens ist dann doch noch die eine oder andere Kaffeebohne zum Vorschein gekommen“, erinnert sich der Grafiker schmunzelnd.

Seit über 15 Jahren ist das historische Haus in der Dienerreihe seine Arbeitsadresse – in der Kommunikationsbranche eher unüblich. Aber der 41jährige liebt neben neuen Herausforderungen eben auch das Beständige und Langfristige.

Ein Umstand, der vielleicht auch seiner Herkunft geschuldet ist.

Geboren und aufgewachsen ist Knüwer in Hopsten, einem kleinen Dorf im Münsterland. Eine Jugend auf dem platten Land, die vielen Klischees gerecht wurde. „Alles war Kirche hier“, bilanziert der Designer. Kaum verwunderlich, dass er wie viele seiner Altersgenossen weniger aus innerer Überzeugung denn aus praktischen Erwägungen Messdiener wurde – war das Repertoire an Freizeit- und Kontaktmöglichkeiten doch relativ überschaubar. Und Alkohol sei natürlich auch ein Thema gewesen. Gerade diese Erfahrungen und Beobachtungen des dörflichen Lebens sind es, von denen auch der Krimi und sein Schauplatz, das kleine Örtchen Unterlingen, profitieren.

Nach dem Abi zog es den jungen Mann dann erst mal zum Studium nach Münster und von dort in die weite Welt. Kann es etwas Aufregenderes als ein Praktikum bei einer Werbeagentur in New York geben? Indes: „Ich kam mir vor wie eine Dampfnudel im Schmelztiegel“, beschreibt er diese Zeit. Die Geschwindigkeit in der Stadt, die niemals schläft, sei extrem ermüdend gewesen.

Wenn er jetzt zwischen zwei Welten pendelt, dann zwischen seinem ländlichen Wohnort am Rande der Stadt und der Werbeagentur im Zentrum – gerne auch auf dem Rad und mit einem Hörbuch im Ohr immer entlang der Elbe: „Der schönste Arbeitsweg der Welt“, schwärmt er.

Thomas

Der dreifache Familienvater gehört zu denen, die lieber etwas selbst machen, statt einfach nur zu konsumieren. Natürlich ist Lesen auch abseits der Komfortzone eines seiner Hobbies – Comics zeichnen war aber schon in der Jugend sein Ding. Bis heute scheint seine Kreativität nicht nur beruflich, sondern auch privat keine Grenzen zu kennen. Das blutrote Cover für sein Buch hat er selbst gestaltet und dazu noch Taschen, Buttons und imaginäre Zeitungsartikel entworfen. Ganz zu schweigen von seinen Reels auf Instagram: „Das war keine Arbeit, sondern reiner Spaß“, freut er sich.

Aber wie kam es überhaupt zu dem Krimi? „Schreiben ist etwas Langfristiges“, sinniert der 41jährige. Vielleicht auch ein Gegengewicht zur schnelllebigen Welt der Kommunikationsbranche?

„Das Haus in dem Gudelia stirbt“ ist nicht das erste Buch Knüwers. Und auch nicht das erste mit eher düsterem Charakter. Der Grafiker, der sich selbst als introvertiert bezeichnet und nicht bestreitet, einen Hang zur Dunkelheit zu haben, hat bereits zwei dystopische Romane selbst herausgebracht, die gleich für verschiedene Preise nominiert wurden. Und unbedingt erwähnenswert sind die Aufzeichnungen seines Großvaters, die dieser nach seinem Einsatz in Stalingrad verfasst hat. Kennengelernt hat Knüwer seinen Opa zwar nie, aber als 16jähriger dessen auf Schreibmaschine getippten Blätter im Geschichtsunterricht vorgelesen. Diese Notizen waren Knüwer so wichtig, dass er sie später sozusagen in Form gegossen und als Buch unter dem Titel „In der Hölle ein Kreuz“ veröffentlicht hat. „Ich wollte, dass diese Geschichte gerade heute viele Leute erreicht“, lautet die Begründung.

Jetzt sollte also ein Krimi her. Aber bitte ohne Polizeiarbeit. „Ich bin dieser Ermittler so müde“, gesteht er. Irgendwann tauchte die Idee für Gudelia auf, ein Buch aus der Sicht einer 81jährigen, die aus Liebe handelt, deren Entscheidungen aber fragwürdig sind.

Ein halbes Jahr dauerte es, bis Knüwer seine Gedanken zu Papier gebracht oder besser gesagt in den Computer getippt hatte. Und anders als vielleicht zu vermuten wäre, ging dies ganz akribisch und nicht kreativ-chaotisch vor sich. „Mural“ heißt die App, der sich Knüwer bediente – ein digitales dashboard, auf dem er den Plot und die einzelnen Handlungsstränge mit elektronischen post-its festhielt. „Ich kann nicht warten, bis die Muse mich küsst“, erklärt er augenzwinkernd auch mit Verweis auf seine Kinder.

Eine faszinierende App wohlgemerkt – keine KI. Deren Vor- und Nachteile sieht Thomas Knüwer auch und gerade als Chief Creative Office äußerst differenziert. Natürlich werde künstliche Intelligenz in Zukunft viele Arbeiten erleichtern. Allerdings seien die rechtlichen Bedingungen dafür noch gar nicht geklärt. Er gibt zu bedenken, dass die Daten und Fotos, mit denen die KI trainiert werde, bislang oftmals ohne Wissen und Zustimmung der Eigentümer verwendet würden. Aber KI als Autor eines Buches? „Würde der Leser sofort merken“, ist sich der Heavy-Metal-Fan sicher.

Aber ob mit oder ohne dashboard – Schreiben bleibt ein mühsames Geschäft. Die Angst vor leeren Seiten, Löchern im Plot oder aber auch die Notwendigkeit, sich von liebgewordenen Protagonisten wieder verabschieden zu müssen – Thomas Knüwer kennt all diese Situationen.

Umso größer ist die Genugtuung, in diesen Tagen die ersten druckfrischen Exemplare mit dem plakativen Titelbild auspacken zu dürfen. Dass es schon im Vorfeld ganz großes Lob aus berufenem Munde gab, freut den 41jährigen sehr: „So ein großartiges Debüt gab es schon lange nicht mehr. Thomas Knüwer erweitert die Grenzen des Genres!“ jubelt Christian Koch von der Hammett Krimibuchhandlung.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Der Urlaub, zu dem der Familienvater mittlerweile mit Kind und Kegel aufgebrochen ist, ist also wohlverdient. Mit eigenem Camper – Van im übrigen und das nicht zum ersten Mal. Über das entgeisterte Gesicht des Verkäufers damals kann sich Knüwer immer noch amüsieren: „Zu fünft? Empfehlen würde ich es nicht. Da muss man sich ganz schön lieb haben!“

Pendragon

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