Arbeitshelden

„Wann schreibst du denn deine Bücher?“

Kennen Sie diese Frage? Als Schriftstellerin, als Schriftsteller?

Ich höre sie oft.

Ich muss dazu anmerken, dass ich nicht vom Bücherschreiben leben kann. Bei Weitem nicht. Wie die wenigsten Schriftsteller. Sagt zumindest die Statistik. Die spricht von einigen wenigen Prozent, wahrscheinlich sogar weniger, die Bücher veröffentlichen und davon leben können. Wir wollen hier nicht davon sprechen, was „leben“ meint. Von der Hand in den Mund und von Luft und Liebe auf jeden Fall nicht. Ich fahre auch nicht Taxi oder jobbe in einer Kneipe, um mir so das Lebensnotwendige zu verdienen.

Warum ich die Frage stelle?

Weil sie mir oft gestellt wird – das hatte ich schon geschrieben. Eine Frage mit vielen Bedeutungen. Oder unterstelle ich die den Fragenden nur? Sei es drum. Mich beschäftigt sie, weil sie, wie so oft, mehr über den Fragenden als den Gefragten ausdrückt. Weil ich Rückschlüsse daraus ziehen kann, wie mich Menschen sehen, wie sie mein Schreiben sehen oder, allgemeiner, die Arbeit eines Schriftstellers.

Nun denn! Sie kann bedeuten: Respekt und Anerkennung. Meint: Neben Fulltimejob und Familie schaffst du es, einen Paar-Hundert-Seiten-Wälzer zu Papier zu bringen. Chapeau! Dass du die Disziplin dazu aufbringst – Ist ja schließlich Arbeit, so eine Menge Seiten halbwegs sinnvoll zu füllen.

Jau, kann ich bestätigen!

„Wann schreibst du denn deine Bücher?“

Ich sprach schon von den vielen Bedeutungen, oder sollte ich besser schreiben: Rückschlüssen … und viel ist sicher übertrieben, aber ein paar … diese zum Beispiel. Wieso schaffst du das? du hast doch einen Fulltimejob und eine Familie, oder??? Tiefer Blick in die Augen bei „oder?“ Vernachlässigst du etwa deine Frau, dein Kind? Was sagen die denn dazu? Also etwa: der Künstler als Aussauger seiner Umwelt, der ihn liebenden und unterstützenden Menschen? Klar, ein bisschen Klischee, aber warum nicht.

Was soll ich dazu sagen? Auf diese Fragen erwidern?! – Und, um das klarzustellen, diese Fragen sind keine Erfindungen.

Wie reagiere ich also?

Gar nicht?

Oder drehe mich um, zeige den Stinkefinger?

Oder grinse, antworte mit Selbstironie: Die sind ganz froh, wenn ich mich im Arbeitszimmer einschließe, sie in Ruhe lasse, keinen Dreck mache, mich nicht ins Fernsehprogramm einmische?

Dabei schaue ich meinem Gegenüber tief in die Augen. Wären deine Frau, dein Kind doch sicher auch froh drum, oder? – Ein noch tieferer Blick.

Wichtig der Umkehrschluss, der erst einen Schuh aus der Frage – und dieser Interpretation – macht: Also: Wieso schaffst du das? (Zur Erinnerung, neben Familie und Beruf Bücher schreiben) … und nicht ich?

du fällst doch bestimmt auch wie jeder rechtschaffene Arbeitnehmer nach getaner Arbeit am Abend aufs Sofa und streckst die Beine aus. Also: Wie schaffst du das?

Einen Moment Schweigen? Denn jetzt komme ich über diesen langen Umweg, der Blogbeitrag soll ja nicht schon nach fünf Zeilen enden, zum Eigentlichen, zu dem, was mir gehörig aufstößt und was mich zu diesen Zeilen veranlasst hat.

Zur Erinnerung die Frage: „Wann schreibst du denn deine Bücher?“

Die Respekt ausdrücken kann, Unglauben, die Unterstellung, dass ich mich unsozial verhalte (asozial will ich mal lieber vermeiden zu schreiben), oder eben, jetzt sind wir da, wo ich hinwollte, dass ich dies während meiner Arbeitszeit mache – während der ich nicht fürs Bücherschreiben bezahlt werde. – Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bücherschreiben ist natürlich Arbeit, aber wenn ich hier von Arbeit schreibe, dann meine ich den Brotberuf – Während die Kolleginnen und Kollegen ihre Pflicht erfüllen, arbeite ich an – nun zum Aussuchen oder Ankreuzen, Nichtzutreffendes streichen – meiner Selbstverwirklichung, meinem Ruhm, Geldvermehrung, what ever …

Vielleicht steckt bei dem einen oder anderen auch ein Quäntchen Respekt in dieser Unterstellung – für die Chuzpe, die Arbeitszeit für „Eigenes“ zu nutzen, dem „Ausbeuter“ ein Schnippchen zu schlagen. Aber das ist sicher zu viel des Guten. Also: während andere tun, wofür sie bezahlt werden, widme ich mich meiner Selbstverwirklichung, meinem Ruhm … wir hatten das schon …

Ich fürchte, dass diese letztgenannte Vermutung die richtige ist – die Unterstellung schwingt mit, dass ich meine Bücher während der Arbeit schreibe. Bestätigung bekomme ich, wenn die Frage über Bande gespielt wird. So wie vor einiger Zeit, als eine Kollegin, die in einem anderen Bereich arbeitet, mir verriet, dass es unter ihren Kollegen heiße, der (gemeint bin ich) schreibe seine Bücher doch bestimmt während der Arbeit … schon keine Frage mehr, eher nahe dran an der Tatsache … weil es doch anders gar nicht sein kann.

Tja, womit man als schreibender Mensch so leben muss … außer Luft und Liebe …

Aber die, die so etwas sagen, unterstellen, what ever …, machen die denn nichts nach der Arbeit? Kümmern sie sich jede freie Minute um ihre Familie?

Vielleicht ist es nicht zu vergleichen – so viel Arroganz darf sein –, aber andere Arbeitnehmer haben doch auch Interessen, die in keinem Zusammenhang mit ihrer Arbeit stehen, die sie in Konflikt mit ihrer Familie bringen können: wenn sie sich zum Beispiel dem Restaurieren alter Autos verschrieben haben, verrückte Dinge sammeln, einen großen Garten pflegen und bewirten und was es noch alles so an Dingen gibt, die einem Spaß machen, Befriedigung und Anerkennung verschaffen …

Unterstellt diesen Menschen jemand, dies während der Arbeit zu tun? Gut – es ginge auch gar nicht, allenfalls ein paar Recherchen am Rechner im Büro wären möglich, aber da das doch jeder macht – unterstelle ich jetzt mal – wird niemand sich ernsthaft darüber aufregen.

Wobei ich zugeben muss: Ein Buch zu schreiben heißt ja nicht nur, sich vor ein leeres Blatt zu setzen respektive vor den Computer, um dann die Geschichte aus der Feder und den Fingern fließen zu lassen. Ein Plot muss ausgedacht werden, formale Aspekte wollen bedacht sein, das Wie des Erzählens festgelegt werden, alles Gedanken-Tätigkeiten, die auch im Auto, beim Spazierengehen geschehen können, und, nun ja, auch mal im Büro. Aber Schreiben, richtig, ernsthaft schreiben, während der Arbeit …?

Die Unterstellung, die Bücher während der Arbeitszeit zu schreiben, hat auch etwas Despektierliches: nicht gegenüber meiner Arbeitsauffassung, sondern gegenüber dem Schreiben von Büchern!

Also, zurück auf Anfang: „Wann schreibst du eigentlich deine Bücher?“

Nun, was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen jetzt eine Nase drehe und antworte, während meiner Arbeitszeit, und wenn da die Zeit nicht reicht, oder mein Arbeitgeber so unverschämt ist, mich dermaßen mit solcher einzudecken, dass an Schreiben nicht zu denken ist, dann, indem ich meine Familie vernachlässige.

Stimmt – natürlich – nicht.

Anders gefragt, kommen wir der Antwort näher. Wie man neben Familie und Beruf und den vielen anderen Dingen, die den Menschen täglich so herausfordern, die Zeit, die Muse, die Disziplin (Zutreffendes bitte … hatten wir auch schon) zum Schreiben aufbringen kann.

„Warum schreibst du?“

Hatten wir auch schon, oder, da war doch was mit Selbstverwirklichung, Ruhm, Geldvermehrung … ja, sicher, von allem etwas ist da drin. Aber zuerst einmal ist da die Lust und der Drang zu schreiben, Geschichten zu erfinden, zu erzählen, vielleicht auch etwas zu transzendieren, Menschen zu verstehen, durch das Schreiben, das Nachdenken, das Recherchieren etwas zu lernen, Neues kennenzulernen.

Und, denken wir doch eine andere Bedeutung in diese Frage: Ist es nicht ein hochachtungsvolles Lob – dass nicht geglaubt wird, dass es möglich ist trotz Beruf (den man ernst nimmt) und trotz Familie (die man liebt) dicke oder dünne halbwegs oder ganzwegs gute Bücher zu schreiben. Deshalb sollte die Frage als ein Lob verstanden werden: Wären die Bücher schlecht, würde dann jemand fragen: „Wann schreibst Du denn deine Bücher?“

Eher bekäme man ein mitleidiges Lächeln geschenkt: Na, ein bisschen Selbstverwirklichung am Abend, aber ernstnehmen müssen wir das Gekritzel wahrlich nicht.

What ever …

Warum auch während der Arbeitszeit schreiben: Ich schreibe bevorzugt an meinem Schreibtisch, einem vertrauten Ort, wo ich das um mich habe, was ich brauche, einschließlich meiner Familie, und die zum Schreiben und allem, was dazugehört, nötige Ruhe.

Vielleicht liegt der Frage auch nur ein falsches Verständnis von Arbeit zugrunde. Und – natürlich – davon, was Schreiben bedeutet, zumindest bedeuten kann.

Ach ja: Ein paar – Bedeutungen – da hatte ich wohl übertrieben … aber es reicht, um ein paar Zeilen zu füllen …

Und die Helden, die sind jetzt zu kurz gekommen, aber vielleicht beim nächsten Mal …

Juergen Heimbach

Juergen Heimbach

Jürgen Heimbach mag Dinge, die die meisten Männer mögen, nämlich Oldtimer, Uhren und Whiskey. Er hat jedoch noch eine weitere Passion, die seine Romane durchzieht: Die deutsche Geschichte.
Die Nachkriegszeit, über die er in seinen Romanen schreibt, hat er nicht miterlebt, doch sie fasziniert ihn sehr. Besonders spannend findet er die Hindernisse, die damals zu überwinden waren, ganz gleich ob technische oder menschliche. Sein Ziel ist es, die Zeit zu riechen und zu schmecken, daher führt er Zeitzeugen-Interviews, recherchiert in Büchern, im Internet und in Archiven, um ein authentisches Leseerlebnis zu schaffen.
Juergen Heimbach

Letzte Artikel von Juergen Heimbach (Alle anzeigen)

Bildquellen

Kommentar verfassen