Ich habe immer gedacht, dass man sein Leben selbst bestimmen kann. Selbst entscheiden, wann man was, wie und wo machen möchte.
Aber was, wenn nicht?
Einem Kind sagt man: Du kannst sein, wer du möchtest. Du kannst alles werden.
ALLES – ein starkes Wort, mit Assoziationen, die uns die Welt versprechen.
Ein Traumkonstrukt, möchte man meinen. Denn an irgendwas muss der Mensch sich ja klammern. Aber was, wenn nicht?
Jetzt stehen uns alle Türen offen. Alle. Oder eben auch nicht.
Denn man weiß nicht, was zu tun ist. Keine Regeln gibt es in diesem neuen Leben, das alles verspricht, aber doch nichts zu halten scheint. Denn niemand hat uns beigebracht, wie das Leben als „Erwachsener“ eigentlich funktioniert.
Deshalb weicht Vorfreude Resignation und nichts bleibt übrig von den Versprechungen. Nur eine Frage verfolgt uns:
Was tun, jetzt da uns die Welt zu Füßen liegt?
In der heutigen Zeit weiß man manchmal gar nicht mehr, wohin man schauen soll, was als nächstes dran ist, was das Beste ist. Jeden Tag prasseln so viele Möglichkeiten, Bilder und Eindrücke auf uns ein, dass es von Tag zu Tag schwieriger wird, alles zu einem großen Ganzen zu verarbeiten.
Wir wollen das Beste aus uns rausholen, suchen nach dem Glück, suchen es in allem und jedem – nur nicht in uns – , wollen möglichst viel erleben, in möglichst kurzer Zeit. Und da steht man nun, mitten im Leben – mit dem Gefühl, genau das zu verpassen. Das Leben selbst. Die enorme Freiheit und Auswahl steht uns nur noch im Weg.
Ich gehöre zur Generation „Ich weiß nicht!“ – gemeinsam mit vielen jungen Menschen in meinem Alter, die auf das Riesenangebot des Lebens nichts anderes zu antworten wissen. Denn: Wir wissen nicht was wir werden wollen, wissen ja nicht einmal, was uns das Morgen, oder gar das ganze Leben bereithält. Wir wissen nicht wer wir sind und lassen alles halbgar an uns vorbeiziehen. Alles. Später, morgen, irgendwann mal…
Manch einer fällt dann in ein Loch. Schwarz und tief und unüberwindbar.
Hoffnungslosigkeit ersetzt dann die Unbeschwertheit der Kindheit. Kindliche Freude weicht der Furcht, der Angst zu versagen, der Panik, nicht alles zu erreichen, was einem angeboten wird. Alles klingt dann nicht mehr nach Chefetage und Ferienhaus am Wannsee, sondern nach Stress und Unzufriedenheit und Sorge.
Hoffnungslos und sinnentleert betrachtet man dann die Welt um sich herum und vergessen ist das Traumkonstrukt.
Du bist, was du bist – sagen dann die Leute. Und: Man kann nicht aus seiner Haut. Klopfen dir dabei auf die Schulter.
Eine Weisheit sagt: „Ein großer Mensch ist derjenige, der sein Kinderherz nicht verliert.“
Und selbst wenn es in den düsteren Momenten verloren scheint, so findet es sich eben doch immer wieder. Das Kinderherz, das uns endlich wieder vollkommen unvollkommen werden lässt. Das uns den Perfektionismus austreibt, uns wieder unbeschwert sein lässt.
Neugierig und furchtlos. Ohne tiefe Löcher, dafür mit einem Kopf voller Ideen, voll Tatendrang. Nicht immer voll konzentriert, dafür aber mit Leidenschaft. Vielleicht weniger effizient, dafür aber fokussiert und mit dem Blick fürs Wesentliche, für das Schöne, das, was uns begeistert. Die echten Schwierigkeiten auf sich zukommen, anstatt sich von den eingebildeten verrückt machen zu lassen.
Einfach mal den Bauch entscheiden, das Herz sprechen lassen. Den Verstand ignorieren. So wie als Kind.
Vergessen sind die Sorgen, was bleibt ist der Moment.
Wir alle suchen nach dem Sinn hinter dem großen Ganzen. Verschwenden auf der Suche danach unsere Zeit und unsere Gefühle. Werden empfänglich für Kritik, aber immun gegen Selbstreflektion und lassen andere entscheiden, wer wir sind.
Aber was, wenn nicht?
Denn: Natürlich kannst du dein Leben selbst bestimmen. Selbst entscheiden, wann du was, wie und wo du etwas machen möchte. So wie als Kind, nur mit mehr Möglichkeiten.
Man kann sich jeden Tag neu erfinden, jemand anderes sein. Dazu benötigt man vielleicht Kraft und Ehrgeiz und Mut und Selbstvertrauen. Aber es geht. Und Fehler sind dabei erlaubt. Wie als Kind, nur besser.
Von Jana Beinlich
Pendragon
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