Autorenportrait: Arne Kohlweyer

Von Claudia Werning
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Das erste Mal…
Ein wenig nervös ist er schon, dieser Arne Kohlweyer. Dabei hat der Kerl bereits mit Tod und Teufel gedreht, Reden aus dem Stehgreif vor hunderten Zuhörern gehalten und Preise in Empfang genommen.

Gelesen vor Publikum aber – und dazu aus seinem eigenen, allerersten Buch – das hat er noch nie. Und dann auch noch vor eher unruhiger Kulisse auf der Frankfurter Buchmesse!!!

Aber was soll schon schiefgehen, wenn allem Anfang ein Zauber innewohnt und der Verleger höchstpersönlich bei der Einführung von einem Herzensbuch spricht? Schnell fängt der Autor auch vorbeilaufende Besucher ein, die abrupt stehenbleiben und lauschen. Und genauso schnell hat er die Lacher auf seiner Seite – der Situationskomik dieses Erstlings kann man sich einfach nicht entziehen.

Arne Kohlweyer und Günther Butkus bei der Ostkind Lesung auf der FBM

„Ostkind“ heißt der tragisch-komische Roman über den kleinen Marko, der zur Wendezeit groß wird, die politische Bedeutung aber noch gar nicht einordnen kann und überhaupt ganz andere Sorgen hat. Er will so schnell wie möglich erwachsen werden – hat er doch das ständige „Dafür-bist-du-noch-zu-jung“ satt. Ob Rauchen, Bohnenkaffee und Heiraten als probates Mittel dafür taugen?

Nöte, die auch Arne Kohlweyer nicht ganz unbekannt sind. Schmunzelnd gesteht er, immer für jünger gehalten worden zu sein, als er eigentlich war, und deshalb so manches nicht gedurft zu haben. Und auch sonst weist seine Geschichte viele Parallelen zu Marko auf. Der in Wolgast geborene und in Berlin aufgewachsene Mann war noch ein Knirps, als die Mauer fiel. Zu jung, um zu verstehen, was da passierte, aber alt genug, um davon betroffen zu sein. Nicht alles ist eins zu eins autobiographisch, das Umfeld im Ganzen allerdings schon.

Als ich das Buch zum ersten Mal las, lief vor meinem inneren Auge sofort ein Film ab – nicht wissend, dass es den tatsächlich schon gibt. Und er in diesem Fall sogar vor dem Buch da war und gewissermaßen als Grundlage für diesen Roman diente. Auch er stammt aus der Feder von Arne Kohlweyer, der von Hause aus eigentlich Drehbuchautor und Regisseur ist. „Drübenland“ lautet der Titel dieses kurzen Streifens, der die Wendezeit empathisch und authentisch mit kongenialen Darstellern aus Kindersicht zeigt. Das Herzblut, dass der Künstler in beide Projekte gesteckt hat, ist unübersehbar.

Und wozu das Ganze? Schließlich gibt es doch wahrlich genug Dokumentationen, Berichte und Bücher über das Leben „drüben“ im Osten; ein Wort übrigens, das ja durchaus in beiden Richtungen zu lesen ist.

„Weil Ihr nicht wisst, wie es wirklich war“, platzt es aus dem Filmemacher heraus, „wir sind Ostkinder, weil wir dazu gemacht wurden.“

Wumms! Der Satz will erst mal verdaut werden. Auch von mir, die lange Jahre vis-à-vis von Stacheldrahtzaun und Grenzanlagen gelebt hat.

Seine Kindheit, darauf legt er großen Wert, sei farbenfroh gewesen und keineswegs so grau wie oft unterstellt. Es habe wahnsinnig lange gedauert, bis der Film realisiert werden konnte, was Arne Kohlweyer auch auf eine mangelnde Bereitschaft zur Offenheit zurückführt. Dass es eben nicht nur Schwarz und Weiß gebe, sondern auch eine Grauschattierung – diese Erkenntnis setze sich erst langsam durch. In der Schweiz übrigens, wo er gegenwärtig wohnt, kokettiere er manchmal mit seiner Herkunft. „Die fragen aber gar nicht erst“, konstatiert er.

Das spiegelt auch die Resonanz auf Drübenland wider. Während der Streifen im fernen Australien die Auszeichnung für den besten EU-Kurzfilm erhielt, in Skandinavien großen Anklang fand und in Dänemark sogar als Schulmaterial verwendet wird, lief er in Westeuropa nach Auskunft Kohlweyers gar nicht. Und während Drübenland in den „neuen“ Bundesländern präsent sei, auch wenn sich nicht alle damit identifizieren könnten, hätten ihn im Westen nur wenige Zuschauer auf einigen kleinen Festivals gesehen.

Entmutigen lässt sich Kohlweyer davon nicht. Zu sehr brennt er für das Filmemachen. Dabei hat er den Eltern zuliebe erst einmal etwas „Ordentliches“ gelernt und Betriebswissenschaftslehre studiert, wohlwissend, dass er dabei nicht bleiben würde. Ein Auslandssemester in Graz nutzte er dazu, sich dem Studium der angewandten Fotografie zuzuwenden. „Ein Regisseur ist letztendlich nichts anderes als ein Dirigent“, erklärt er. „Während letzterer wissen muss, wie ein Instrument klingt und funktioniert, muss sich ersterer mit der Bildgestaltung auskennen.“ Kohlweyer hängt die Anforderungen hoch: Man müsse nicht alles beherrschen, aber virtuos auf einem Gebiet sein.

Drehbücher schreiben ist für ihn Fluch und Segen zugleich. „Der Prozess, etwas aus dem Nichts zu kreieren, ist großartig“, schwärmt er leidenschaftlich, ehe das „Aber“ kommt. Viele Stellen, nicht nur die Mitwirkenden, hätten ein Mitspracherecht. Filmförderung sei an Kriterien gebunden, und in Deutschland rede auch das Fernsehen ein Wörtchen mit, wenn es um die Finanzierung gehe. Kämen Änderungswünsche ans Drehbuch, fühle er sich jedes Mal wie jemand, der sich ins eigene Bein schießen müsse.

Nicht ohne Grund ist Kohlweyer deshalb in die Schweiz ausgewichen, wo für ihn die Arbeitsbedingen einfach besser scheinen. Und vielleicht ist das auch eine Erklärung dafür, dass er jedes Wort und jeden Satz im Manuskript für „Ostkind“ mit Zähnen und Klauen verteidigte.
Über einen Mangel an Aufträgen kann sich der Filmemacher, der sein Studium der Filmregie nach Stationen in Göteburg und Berlin an der FUMA in Prag abgeschlossen hat, nicht beklagen. Auch als Co-Autor ist er oft gefragt.

(Ein Tipp am Rande – wer sich mal vor der Flimmerkiste amüsieren und gut unterhalten lassen will, dem sei eine Folge der für den Grimme-Preis nominierten Reihe „Zärtlichkeiten im Bus“ in der ARD-Mediathek wärmsten zu empfehlen! Und nein – das ist weder anzüglich noch eine Liebesschnulze)

Gerade arbeitet der Regisseur mit großer Sorgfalt an einer Dokumentation über den Schweizer Schriftsteller Peter Stamm. Kein Wunder, dass dessen Werke momentan zuoberst auf dem Lesestapel liegen. Und kaum zu glauben – als hätte er nur auf das Stichwort gewartet, schlendert der vielfach Ausgezeichnete hemdsärmelig keine fünf Minuten später an uns vorbei, als wir für ein belegtes Brötchen am schnöden Imbissstand der Buchmesse anstehen. Arne Kohlweyer hätte das nicht besser inszenieren können. Und während die beiden noch plaudern, kann ich nicht umhin, im Geheimen an die Abiturientinnen zu denken, die beim Kauf der Pflichtlektüre den ebenso einfachen wie kurzen Namen „Agnes“ nicht richtig aussprechen konnten und den Schweizer als „Pieter Stämm“ im englischsprachigen Raum verorteten…

Freie Zeit ist rar gesät in diesem Geschäft. Wenn es die Drehpausen zulassen, holt Arne Kohlweyer gerne auch ein zweites Mal Bücher aus dem Schrank – wie zuletzt „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow oder die Romane von Milan Kundera.

Und weil er wegen seiner Familie noch einen Koffer in Berlin hat, pendelt er möglichst regelmäßig zwischen Basel und der bundesdeutschen Hauptstadt hin und her. Ganz umweltbewusst natürlich mit der Bahn. „Ich bin jetzt in einem Alter, in dem die Schweiz besser zu mir passt als Berlin-Kreuzberg“, bemerkt er mit einem Augenzwinkern. Es ist vor allem der Facettenreichtum, der Kohlweyer für seine Wahlheimat so einnimmt.

Eine Kostprobe davon kann er im Januar genießen: Für ein mehrwöchiges Arbeitsstipendium zieht es ihn ins Wallis. Eigentlich hat er es nicht so mit Bergen und Schnee. Aber schließlich geht es ja auch nicht ums Skilaufen, sondern um die Fortsetzung vom Ostkind. Wir alle wollen doch wissen, was aus dem kleinen Marko im Sommer 2001 geworden ist.

Je schneller, desto besser! Man muss kein Ostkind sein, um Vergnügen daran zu haben.

Pendragon

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