All the world’s a stage

Was gibt es nicht alles für Tage?!

Gute Tage, schlechte Tage, Scheißtage.

Das wäre eine ebenso einfache wie praktische Einteilung unserer Tage, aber das meine ich nicht.

Vielmehr beschäftigen mich die scheinbar unzähligen Gedenk- oder Aktionstage, die wir heutzutage in unseren Kalendern verzeichnet finden.

Den Tag des … bla bla bla, oder den Tag der … was weiß denn ich, das sind die Tage , die ich meine.

Bei einigen darunter ist es nur verwunderlich, dass es sie gibt, bei anderen ist es geradezu erschreckend, dass sie sogar vom dem ein oder anderen tatsächlich begangen werden.

Früher gab es das nicht. Da hatten wir politische Gedenktage, Nationalfeiertage, sowas. Und natürlich werden überall auf der Welt schon ziemlich lange religiöse Tage gefeiert – Ostern meinetwegen und Weihnachten – und wahrscheinlich beachtet die Menschheit seit ihrem Anbeginn Tage, die einfach nur wichtige Punkte im Jahresverlauf markierten: Sonnwend zum Beispiel.

Das alles war anscheinend irgendwann nicht mehr genug.

Heutzutage haben wir allerhand irgendwie motivierte Aktionstage: Darunter durchaus Wichtiges und Witziges.

Einerseits den Tag der Flüchtlinge, der Menschenrechte oder den Vatertag.

Andererseits den Weltlachtag, den Kauf-nix-Tag oder den Sprich-wie-ein-Pirat-Tag.

Und auch die Literaten lassen sich nicht lumpen und begehen den Tag der deutschen Sprache, des Buches und den Bloomsday.

Das ist alles schön und gut – soweit.

Was mir jedoch mal einer erklären müsste, das sind diese kuriosen Tage, wie der Tag des Handtuchs, zum Beispiel, der Tag des deutschen Butterbrotes oder der Tag der Blockflöte.

Was das soll, das erfasst nur der, der selber Blockflöte spielt, oder gar eine ist.

Alles, was irgendwann irgendwem wichtig war oder ist, bekommt einen Gedenktag. Könnte man meinen. Aber wenn Gedenktage wirklich so wichtig wären, dann gäbe es längst den Tag des Gedenktages. Gibt es aber nicht. Deswegen sind Gedenktage eigentlich auch nicht wichtig – und witzig erst recht nicht – und die meisten sind ganz und gar unsinnig.

Auch hier sollte gelten „Weniger ist mehr“, will heißen, konzentrieren wir uns auf das, was wirklich wichtig ist.

Diese Woche, am 27. März, begehen wir, und das seit über 50 Jahren, den Welttag des Theaters.

Masken
Den will ich mal gelten lassen.

Es gibt sicher ein paar wichtigere Tage, aber noch sicherer jede Menge unsinnigere – so das Wort Sinn macht.

Der Welttag des Theaters. Was ist ein Welttag? Und ist die Welt ein einziges Theater?

Nein, sicher nicht. Denn die Welt, das ist die Realität, auf der Theaterbühne aber herrscht die Fiktion. Trotzdem: „Die ganze Welt ist eine Bühne.“ Das ist was anderes.

„All the world´s a stage.“

Shakespeare sagte – pardon, schrieb – es, nimmt man jedenfalls an. Aber wie so vieles hat er es „geklaut“. Vor ihm sagten es schon viele, angefangen bei Pythagoras, der mehr ist als „a Quadrat plus b Quadrat“. Und nach ihm noch viele mehr, bis hin zu Elvis.

Das macht aber nichts, denn Shakespeare hat bekanntlich alles geklaut, fast alles, hat einfach nur das gesagt, was jedermann eh schon immer wusste.

Nur: Keiner hat es so gesagt wie er.

Wahrscheinlich war das seine Kunst.

Auch der melancholische Monolog aus „Wie es euch gefällt“, der mit „All the world´s a stage“ beginnt, beinhaltet Dinge, die einem bekannt erscheinen, oder die zumindest sofort einleuchten.

Tatsächlich befasst sich der Großteil des Textes mit ganz anderen Dingen, nämlich mit den verschiedenen Stadien im Leben eines Mannes. Was aber hängen bleibt, das sind nur die ersten Sätze: „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer sind nur Spieler.
Sie treten auf und gehen wieder ab.“ (nota bene sequentia).

Es muss eine Ur-Erfahrung des menschlichen Lebens sein, ja vielleicht sogar ein tiefliegendes Bedürfnis des Menschen, zur Schau zu stellen, sich zur Schau zu stellen, andere zur Schau zu stellen.

In meinem ersten Chiemgau Krimi „Blut und Wasser“ habe ich genau dieses letztere Motiv aufgenommen.

Anna Wimmer, eine Bäuerin aus dem Chiemgau, wird gezwungen ein anderes Leben zu leben, auf einer Bühne zu agieren, die nicht die ihrige ist, um eine Rolle zu spielen, die andere sich für sie ausgedacht haben. Und es wird ihr zum Verhängnis. Sie stirbt am 4. Juli 1869, 26-jährig, erschlagen von dem Mann, den sie liebte.

Parallel dazu, wenn auch zeitversetzt, agiert eine junge Anwältin, Silvia Staudacher, ebenso auf einer Bühne, auf der ihre Eltern, ihr soziales Umfeld sie sehen wollen, und sie nimmt die Rolle, die ihr zugedacht ist, gehorsam an, mit allen Konsequenzen. Erst die Beschäftigung mit dem Leben der Anna Wimmer öffnet ihr die Augen, und sie flieht. Sie flieht aus ihrem Leben, ihrer Rolle, tritt ab von der Bühne, auf die man sie gestellt hatte und wechselt die Rolle, denn sie hat die Kraft und die Möglichkeiten, die Anna Wimmer in ihrer Zeit nicht hatte.

Viele Geschichten leben von diesem gleichen Motiv; und fernab von der Fiktion haben unzählige Menschen zu allen Zeiten auf fremden Bühnen gespielt, waren gefangen in Welten, in Leben, die nicht die ihrigen waren – ob sie es selber wussten oder auch nicht. Die Dunkelziffer wird größer sein, als die bekannte Zahl – wie immer – damals und sicher auch heute.

Man sollte einen Tag für diese Menschen einführen, einen Tag, an dem wir diesen Menschen gedenken, den Tag der verspielten Leben.

Wenn nur nicht schon alle Tage vergeben wären. Es wird ja wirklich langsam eng im Kalender. Vielleicht könnte man ja die Nächte dazu nehmen. Die Nacht der oder des Dingsbums hört sich doch auch nicht schlecht an, und auch das haben wir ja schon.

In der Walpurgisnacht feiern die Hexen auf dem Brocken und opfern ihren Schlaf dem Tanz. So sollten wir den Tag des Schlafes opfern, indem wir ihn zeitlich etwas nach hinten verschieben auf die Nacht des Schlafes, für alle schlaflosen Traumwandler, und so Raum schaffen für den Tag der verspielten Leben.

Guten Morgen, gute Nacht.

Roland Voggenauer

Roland Voggenauer

Roland Voggenauer liebt die Herausforderung und ist immer auf der Suche nach neuen Ufern. Deshalb steckt er sich kontinuierlich neue Ziele, sucht die kleinen Abenteuer, um dem Alltag zu entfliehen. Er verbringt viel Zeit in der Natur, am liebsten dort, wo Berge und Wasser sich berühren. Ein Leben ohne Bewegung, ohne Laufen, Bergsteigen oder Fahrradfahren, wäre für ihn nur noch halb so lebenswert.
Er vertraut keinem Gedanken, der nicht im Gehen geboren wurde. Die Ideen, die den Stoff für seine Romane und Geschichten bilden, fliegen ihn förmlich an, wenn die Natur ihn laufend inspiriert.
Erst wenn er bewegt die Fäden der Handlung gesponnen hat, kann er sich hinsetzen, um dem Erdachten den Feinschliff zu geben.
Roland Voggenauer

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