Walk Like A Zombie

Was gibt es Kuscheligeres am Weltkuscheltag (Na gut, es fällt mir schon noch mehr ein.) als seinen Gedanken nachzuhängen, einen „The Walking Dead“-Marathon im Rücken, und abhängen mit Rick, Daryl (in der Serienversion), Carol, Michonne, Glenn, Maggie, dem nervigen Carl und all den anderen, die es mit Blessuren bis zur Mitte der fünften Staffel geschafft haben? Natürlich die Beißer, Streuner, beziehungsweise im Original „Walker“ genannten, Zombiehorden nicht zu vergessen.

Doch wollen wir Ricks Sohn Carl nicht Unrecht tun, immerhin war er für die Initialzündung verantwortlich, die mich tage- und nächtelang vor dem Fernseher ausharren ließ. Die erste Staffel war abgefrühstückt, mit Gefallen und einem Cliffhanger zum Schluss, der ein bisschen Licht in die verdunkelte Welt brachte, zwar nicht erklärend, warum die Zombie-Apokalypse ausbrach, aber immerhin Einblicke in ersterbende und dann wieder punktuell aufflackernde Gehirntätigkeit erlaubte. Was genau dort passierte, warum der Hirntod eintrat und eine kleine Partition – zuständig für Laufen, Stöhnen, Essen – reaktiviert wurde, respektive sich selbst reaktivierte, blieb so geheimnisvoll – und unbedeutend – wie zuvor. Doch der ehemals aufrechte Cop Rick Grimes konnte an dramatischer Stelle seine Mitstreiter mit der Erkenntnis: „Wir sind alle infiziert!“ in ihren Grundfesten erschüttern. Im Comic findet die Passage eine ähnliche – aber aufgrund der Absenz der Forschungscenter-Episode andere – Klimax, bei der Rick herausschreit: „WIR sind die lebenden Toten!“ Und nicht die herumwankenden Gestalten, die sich um den Zaun versammeln, der das Gefängnis umgibt, in dem Rick und seine Gruppe Unterschlupf gefunden haben. Da ist die Existenz der Beißer längst Alltag, und die wahren Gefahren lauern ganz woanders.

Zurück zu Carl, seinem Vater und dessen bestem Freund (und Konkurrent in Liebesangelegenheiten) Shane, die auf der Jagd in einem so poetischen wie kitschigen Bild innehalten, das dem Trio die Erinnerung an eine Normalität vorgaukelt, die so nicht mehr existiert und vermutlich nie existiert hat: Ein Hirsch, der auf einer Lichtung für die Wohnzimmerwände der Ewigkeit posiert. Dann fällt ein Schuss. Carl stürzt getroffen in Slow Motion zu Boden. Ende der ersten Folge von Staffel zwei. In diesem Augenblick hatte mich die Serie ebenfalls erlegt.

Glücklicherweise war einige Zeit seit Ricks ersten zaghaften Schritten in eine beinahe entmenschlichte Welt vergangen, und so konnte ich vier Staffeln nahezu am Stück verarbeiten, was bei einer Serie wie „The Walking Dead“ eigentlich dringend anzuraten ist. Selbst jene Folgen der zweiten Staffel, die zwischen düsterer Meditation und dramatischer Gruppentherapie schwanken, überzeugen auf ihre gemächliche Art in der sie umgebenden Hektik, oder reizen zu Gedankenspielereien; wirklich schwache Momente sind äußerst selten, erst im fünften Jahr wird es ab und an arg elegisch und redundant. Bis das Mid-Season-Finale mit voller Wucht zuschlägt.

Bereits in der zweiten Staffel aber wird deutlich, dass die Zombies lediglich Katalysatoren sind, von den Schöpfern der Comic- und TV-Serie genutzt, um verschiedene Gesellschaftsmodelle durchzuexerzieren und traditionelle Strukturen zu hinterfragen. Dabei bleibt die Fernsehserie ambivalenter und offener für Diskurse als die in grobem Schwarzweiß gezeichnete Comicvorlage.

Waffenfetischismus wird im Comic nachdrücklich auf die Spitze getrieben, in der Serie hingegen immer wieder hinterfragt, um am Ende zu einem ähnlichen Ergebnis zu gelangen: Es führt kein Weg an einer durchschlagskräftigen Waffe vorbei. Die rudimentärste Erkenntnis teilen sich integre Figuren und skrupellose Soziopathen in gleichen Maßen: Die meisten sozialen Kontakte laufen auf ein simples „töten oder getötet werden“ hinaus. Dort, wo dieses Prinzip durchbrochen wird, tun sich gerne Abgründe auf, die nur manchmal überwunden werden können.

Flaschenepisode:

Die Zombies machen bis zum derzeitigen Ausstrahlungsstand keine Entwicklung durch. Ihr schwer begreifliches (Un)wesen wird nur an drei – allerdings markanten – Punkten zentral behandelt. Zum einen bei der medizinisch-analytischen Visualisierung vom Sterben und Erwachen von „Testobjekt 19“, am Ende der ersten Staffel sowie während jener Folgen, in denen Hershel „seine“ Zombies als Erkrankte sieht, die man vielleicht irgendwann heilen kann. Am eindrücklichsten aber dort, wo die junge Lizzie Samuels in den Mittelpunkt rückt, die in den Beißern mehr sieht als bloße Fressmaschinen. Was zwar zu einem der radikalsten Schocks der Fernsehgeschichte führt, aber im weiteren Verlauf leider nicht wieder aufgenommen, geschweige denn hinterfragt wird.

Zur Vertiefung dieses und anderer Aspekte verweise ich sehr gerne auf Joachim Körbers lesenswertes Buch „Die Philosophie bei The Walking Dead“, das auch eine kurze Mediengeschichte der Zombies liefert und auf die expliziten Unterschiede zwischen George A. Romeros „Dead“-Reihe und den Walkern aus „The Walking Dead“ eingeht. Daneben prüft er verschiedene philosophische Ansätze auf Anwendung innerhalb des „The Walking Dead“-Multiversums. Das ist nicht immer von zwingender Logik, aber hochinteressant und diskussionswürdig.

Flaschenepisode Ende.

© Frank Ockenfels / amc

© Frank Ockenfels / amc

„The Walking Dead“ spielt wie kaum eine andere Serie Herrschafts- und Beziehungsstrukturen durch. Der Staat als Form des Zusammenhalts und gesetzgebendes Regulativ ist über die Grundfeste hinaus zusammengebrochen. Und das ziemlich schnell wie es scheint: Denn zwischen Ricks Verwundung in einer kippelnden Welt und dem kompletten Zusammenbruch der Welt wie wir sie kennen, können höchstens ein paar Wochen liegen. Die verbliebenen Menschen kämpfen sich in Kleingruppen durch und suchen nach neuen Strukturen, die bis zur Mitte der fünften Staffel instabil bleiben oder gleich zum Scheitern verurteilt sind. Hierarchien sind viel zu anfällig für die Schwächen oder soziopathologischen Ausfälle ihrer Anführer, die kleine Demokratie funktioniert nur so lange wie es dem bösen Nachbarn gefällt, die kannibalische Zweckgemeinschaft wird voller Abscheu zu Klump geschossen und zerhackt, selbst die Kleinfamilie wird dem Überleben in einer lebensfeindlichen Umwelt geopfert.

In einer der stärksten Folgen der Serie – einer der beliebten Flaschenepisoden, in denen sich auf eine kleine Auswahl der Protagonisten konzentriert wird, während man die Haupterzählung nahezu ausblendet – fliehen Carol und Tyreese getrennt von der Hauptgruppe samt Ricks neugeborener Tochter sowie den Schwestern Lizzie und Mika im Schlepptau. In einem abgelegenen Landhaus findet die zusammengewürfelte Patchwork-Familie Ruhe und Einkehr, bis die beiden Erwachsenen entdecken, dass Lizzie ein eigenwilliges Verhältnis zu den herumstreifenden Zombies hat. Sie betrachtet die Untoten als Spielkameraden, als transformierte Menschen, mit denen man interagieren kann. Die Situation eskaliert, als Lizzie in einem unbeobachteten Moment ihre kleine Schwester eigenhändig „transformiert“ und auf ihre Erweckung wartet.

Doch Lizzies Betrachtungsweise ist bei „The Walking Dead“ keine Option, selbst eine Therapie wird nicht in Betracht gezogen. Während Tyreese sich mit dem Baby verkriecht, zieht Carol die Konsequenzen. Die Mutter, die bereits ihre leibliche Tochter Sophia verloren hat, wird zur Henkerin. Das Familienidyll ist eliminiert. Konstruktive Formen des Zusammenlebens werden nicht nur diesmal nachhaltig zerstört.

In seiner (scheinbaren) Ausweglosigkeit und Konsequenz ist „The Walking Dead“ eine tiefschwarze Serie, die es sich sogar erlauben kann, am Wegesrand liegende philosophische, therapeutische und rechtliche Aspekte – vorerst – links liegen zu lassen. Dank der sich verändernden Protagonisten, ihrer komplexen Beziehungen und der ständigen Konfrontation mit moralischen Fragestellungen bleibt die Serie spannend, selbst wenn sie partiell auf der Stelle tritt.

© amc

© amc

In der TV-Aufbereitung ist der kräftige, grobe schwarzweiße Pinselstrich einer Ambivalenz gewichen, die den Figuren Raum und Tiefe gibt und sie gegenüber der Comic-Vorlage teilweise stark verändert (der Governor als smarter und nicht berserkerhafter Psychopath) oder gar neu erschafft (Daryl, Merle, Beth u. a.) und auch ihr Schicksal in anderen Bahnen verlaufen lässt. Sich dabei nicht scheut, Haupt- beziehungsweise handlungsprägende Nebendarsteller über die Klinge springen zu lassen; dies geradezu zur Kunstform erhebt.

Im Hintergrund schwebt natürlich immer die bange Frage, wie das alles enden soll und ob die Menschen mit ihren teils lebensfeindlichen Denkstrukturen, Entscheidungen und Handlungen nicht ein aussterbendes Modell sind. Zwar kämpfen Rick und seine Gruppe – insbesondere, der sich vom krawalligen Redneck zur moralischen Instanz wandelnde Daryl Dixon – um Aufrechterhaltung von Empathie und humanistischem Verhalten, doch bis zur Mitte der fünften Staffel sehen sie sich ein ums andere Mal mit dem Scheitern des zaghaften Aufbaus eines tragfähigen Miteinanders konfrontiert.

Joachim Körber bezeichnet „The Walking Dead“ als eine „humanistische und im innersten Kern positive und optimistische Serie“. Das Erste würde ich unterschreiben, bei der weiteren Einschätzung bin ich skeptisch. Noch ist offen, wohin es das Häuflein Mensch(en) treiben wird: ins Dunkel, den Untergang oder in eine lebenswerte Alternative.

Wobei die Beißer, Streuner, Walker auch noch ein erhebliches Wörtchen mitzureden haben. D. h. es wird bei dem Stöhnen, Knurren, Zähnefletschen und großen Fressen bleiben. Vorerst. Bis vielleicht eine zweite Lizzie kommt, und kein ängstlicher Blender wie Eugene, die mit neuen Betrachtungsweisen und möglicherweise Lösungsvorschlägen aufwartet. Alles ist möglich. Genau deshalb ist und bleibt es spannend, über Buchseiten und Ausstrahlungstermine hinaus erinnerungs- und nachdenkenswert.

Dass sich dazu noch eine deftige Portion Gore, horribler Thrill, visueller Ideenreichtum und ein extraordinärer Soundtrack gesellen, macht den Reiz umso größer.

Für den wahren Genuss zum Weltkuscheltag empfehle ich ein ganz spezielles Double-Feature: Zunächst, obwohl Weihnachten vorbei ist, „Tatsächlich Liebe“ („Love Actually“) mit einem glattrasierten Andrew Lincoln als schüchternem, einfallsreichem und innigem Verehrer der frisch verheirateten Keira Kneightly anschauen, dann ansatzlos zu „The Walking Dead“ switchen, um Lincoln auf neuen Pfaden als unrasiertem, grimmigem und mitunter am Rande des Wahnsinns entlang hangelndem Ex-Cop zu folgen. Love is all around. Unterm erloschenen Weihnachtsbaum und im Herzen der zombiefizierten Finsternis.
 

© universal studios entertainment

© universal studios entertainment


© amc

© amc

 

Jochen Koenig

Jochen Koenig

Vom Hörspielschreiber beim RIAS in Berlin bis zu den Booknerds. Jochen König ist schon weit herumgekommen und hat über viele Dinge geschrieben – bevorzugt über Filme, Musik und Literatur. Zwar juckt es ihn auch in den Fingern noch einen dritten Roman zu verfassen, doch dafür fehlt die Zeit. Ganz nebenbei hat der kulturell interessierte Kritiker nämlich auch noch jahrelang eine Fußballmannschaft ge­coacht. Und Zeit für die Familie, Wandern und Kochen muss ja auch irgendwann einmal sein.
Jochen Koenig

Letzte Artikel von Jochen Koenig (Alle anzeigen)

Bildquellen

Kommentar verfassen