Als Inspiration für die Figur der eigenständigen und durchsetzungsstarken Caroline Geiger in seinem Kriminalroman „Schüssler und die verschwundenen Mädchen“ diente unserem Autor Viktor Glass seine Großmutter:
Meine „Iserlohner Oma“ habe ich über alles geliebt. Ich habe jede Ferien bei ihr verbracht. Eine wichtige Zeit für mich: Ich bekam mehr Aufmerksamkeit, die ich sonst mit fünf jüngeren Geschwistern teilte, und hatte vor allem Zeit für mich. Meine Großeltern arbeiteten beide in einer kleinen Fabrik, in der es außer ihnen noch zwei Verwandte und eine Angestellte gab. In Handarbeit stellten sie Polierscheiben für die Kleinmetallindustrie her – ein konkurrenzloses Nischenprodukt. Vom Aufstehen bis zum frühen Nachmittag war ich allein und hatte feste Aufgaben im Haushalt. Von meiner Großmutter lernte ich Hausmannskost kochen, Knöpfe annähen, Strümpfe stopfen und Vieles mehr, was ein Junge sonst nicht kann.
Wenn ich da war, spielte ihr Mann nur eine Nebenrolle. Er war ohnehin viel unterwegs: Kundenbesuche oder Neukundenwerbung fanden in der knappen Freizeit statt. Meine Großmutter erledigte den ganzen „Schreibkram“, meist in der Küche oder in der Wohnstube. Eigentlich leitete sie die Firma, und das in einer Zeit, in der die Männer den Frauen das Haushaltsgeld zuteilten. Hier war es umgekehrt: Sie gab ihrem Mann sonntags das Geld für seine Kneipentouren („Neukundenwerbung“) und kaufte seine Brasil oder Virginia für den Ausklang des Abends. Sie verkündete oft stolz, dass sie eine der ersten Frauen in Deutschland gewesen war, die einen Führerschein gemacht hatte. Ich habe sie nie hinter dem Steuer gesehen, denn Autofahren war für sie Luxus, und sie legte selbst lange Fußwege zurück – zu meinem Leidwesen mit vielen Schwätzchen an den Straßenecken. Als Sozialdemokratin wusste sie sehr gut, wer von ihren Mitmenschen bei den Nazis gewesen war, und sie sprach es immer aus.
Was ich an ihr bewunderte, war ihre Kraft, die Art wie sie ihr Leben meisterte. Für alles hatte sie eine Regel, die sie sich selbst gesetzt hatte, und was einmal beschlossen war, hat sie auch geschafft. Ihre Devise war: „Sage nie, das kann ich nicht.“ Das erwartete sie auch von ihrer Umgebung.
Ihr Leben war kompliziert und schwierig, aber sie hatte es im Griff. Aufgeben – nicht bei ihr! Ich habe so viel von ihr gelernt.
Viktor Glass
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- Meine Großmutter - 25. April 2018
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- Großmutter Viktor Glass: Viktor Glass