KRONSNEST – Gedanken des Autors

Autor Florian Knöppler spricht über das Schreiben an Kronsnest und die Hintergründe zum Roman:

In diesem Augenblick ist er im Druck, mein erster Roman: KRONSNEST. Wenn ich mir die Maschinen vorstelle, die die Seiten und den Umschlag drucken, kommt es mir vor, als hätte ich gerade zwei doppelte Espressi getrunken. Vorfreude und Aufregung sind groß, vermutlich ist das bei den meisten Autoren so.

Ich bin gefragt worden, wie lange ich an dem Buch geschrieben habe. Schon bei dieser ersten, nicht gerade kompliziert formulierten Frage kam ich ins Schleudern. Was zählt man dazu? Auch die Anfänge, als ich stundenlang Dialoge aus einem Film abgetippt habe, aus dem „Boxer“ mit Daniel Day-Lewis und Emily Watson? Großartige Dialoge, keine Frage, aber den halben Film abtippen? Dauert lange und klingt nebenbei auch ein bisschen nach Stumpfsinn. Am Ende habe ich geantwortet: sechs Jahre, inklusive Vorbereitungen, die nötig waren, um einen Tonfall zu finden, der mir gefällt.
Es war ein großer Schritt von den Reportagen, die ich vorher geschrieben habe, zum Roman. Und trotzdem hatte ich keine Zweifel, dass ich das Richtige tue, auch nicht, als es zwischendurch schwierig wurde. Endlich konnte ich mich ganz auf die Sachen konzentrieren, die mir auch vorher schon bei der Arbeit als Journalist am meisten Spaß gemacht haben: Menschen unterschiedlicher Art verständlich zu machen, zu zeigen, was sie glücklich macht und wie sie Phasen von Unglück und Schmerz überstehen. Beim Schreiben am Roman war ich plötzlich viel freier und konnte mich auf die menschlichen Aspekte stürzen, die mich am meisten beschäftigten.

Ich habe KRONSNEST in der Gegend angesiedelt, in der selber lebe. Ist es also ein Heimatroman? Ich hoffe nicht, jedenfalls keiner, der die Heimat feiert. Warum also ein Roman ausgerechnet aus dieser Gegend? Bestimmt nicht aus dem praktischen Grund, dass man, wie ich gelesen habe, über das schreiben sollte, womit man sich auskennt. Viel eher hat es damit zu tun, dass ich in der Heimat die engste Verbindung zu meiner Umgebung habe, die stärksten Gefühle spüre, unterfüttert von ungezählten Erlebnissen. Natürlich könnte ich auch woanders leben und schreiben, ich träume sogar oft davon. Sizilien wäre der erste Kandidat. Nicht nur im Urlaub stelle ich mir vor, dorthin umzuziehen und langsam über die Jahre in ein Dorf, in eine Stadt hineinzuwachsen. Aber noch viel lieber wäre ich dort nicht der heimisch werdende Deutsche, sondern ein Sizilianer. Woher aber kriege ich eine sizilianische Ehefrau, ohne meine zu verlassen, und woher eine sizilianische Kindheit.
KRONSNEST spielt nicht einfach nur in der Nähe meines Wohnorts, es werden sogar viele reale Orte und typische Namen benannt. Durch solch direkte Bezüge fällt es mir leichter, eine Wirklichkeit entstehen zu lassen, die konkret ist, nicht nebulös, die es mit der Realität aufnehmen kann und zugleich eine Bedeutung hat, mit einem Gefühl verbunden ist. Im besten Fall ist das beim Lesen eines solchen Romans zu spüren.

Was zeichnet die Gegend von KRONSNEST aus? Was mag ich besonders an ihr? Vor allem die Größe des Raums um mich herum, am Boden, wo keine Hügel den Blick begrenzen, aber auch am Himmel. Dort findet, wie überall in Norddeutschland, das Besondere statt. Immer neue Farben und Formen und Stimmungen, so flüchtig wie sehenswert. Der reinste Sehnsuchtsraum. Hinzu kommt in der Elbmarsch das Wasser. Das winzige Dörfchen Kronsnest liegt an der Krückau, einem Nebenfluss der Elbe. Die Nordsee ist zwar noch einige Kilometer entfernt, aber sie ist zu spüren, vor allem durch die Gezeiten und die Frachtschiffe, die die Elbmarsch auf dem Weg nach Hamburg passieren müssen.
Über die Menschen in dieser Gegend könnte man eine Menge sagen, müsste man nicht ständig Angst vor Klischees haben. Ja, die Leute hier sind manchmal wie in der Werbung für Flensburger Pilsener, auch was die Zahl der gesprochenen Worte und den Humor angeht, vor allem aber sind sie überwältigend tolerant und freundlich. Wer neu von sonst woher dazukommt, wird herzlich aufgenommen, egal ob er bayerisch oder plattdeutsch spricht, ob er einen dicken Ring in der Nase hat oder aussieht wie die meisten. Wichtig ist nur, wie er sich verhält. Ist er arrogant oder egoistisch, geht man bald nur noch nickend an ihm vorbei, ist er nett und hilfsbereit, wird er schnell ein Teil des Ganzen.

Als ich mit dem Roman anfing, war mir sofort klar, dass ich ihn in der Zeit der Weimarer Republik oder des Nationalsozialismus spielen lassen wollte. Dieser Zeitabschnitt fesselt mich schon lange, vielleicht weil es Jahre extremer Gegensätze und schwer verständlicher Verhaltensweisen waren. Schon in meinen ersten Zeitungsreportagen versuchte ich, Bilder davon zu zeichnen, wie die Menschen damals gedacht und gefühlt haben. Ich besuchte Opfer und Täter, Mitläufer und Widerständler und kreiste immer wieder um die gleichen Fragen: Was hat sie so und nicht anders handeln lassen? Wie haben sie sich selbst und ihre Umwelt erlebt? Wie haben sie mit Schmerzen und Trauer weitergelebt? Welche Gründe gab es dafür, dass die Menschen so unterschiedlich agiert haben? Wieso konnten freundliche Menschen zugleich Zyniker oder sogar Bestien sein? Heute denke ich, dass all diese sehr unterschiedlichen Fragen ein und denselben Hintergrund haben. Ich wollte herausfinden, was den Menschen zu dem macht, der er ist, nicht nur damals, auch heute. Und vielleicht wollte ich auch etwas darüber erfahren, warum ich bin, wie ich bin, und darüber, wie ich sonst noch sein könnte bei anderen Rahmenbedingungen.
In Holstein war die Situation Ende der 20er eine besondere. Während die Menschen in Berlin bis in den Morgen tanzten oder jedenfalls im Strudel heftiger Veränderungen lebten, beharrten sie hier radikal auf dem Alten und lehnten sich gegen den Staat auf wie nirgendwo sonst in Deutschland. Sie bildeten die Landvolkbewegung, zerrissen Steuerbescheide, verhinderten Zwangsversteigerungen, organisierten Massendemonstrationen und terrorisierten sogar Behörden und staatsloyale Privatleute mit Bomben und Handgranaten. Das Scheitern der jungen Republik deutete sich hier viel früher an als anderswo, was man auch den Wahlergebnissen ansah. 1928 erhielt die NSDAP im Durchschnitt 2,6 Prozent der Stimmen, in den holsteiner Landkreisen Steinburg und Dithmarschen waren es 10 und 17 Prozent. Bei der Wahl im Juli 1932, also ein halbes Jahr vor der Machtergreifung, gab es schon zahllose holsteiner Gemeinden, in denen die Nationalsozialisten 70, 80 oder sogar 100 Prozent der Stimmen gewannen (gegenüber einem Durchschnittwert von 37 Prozent).
Wer in dieser Gegend lebt und solche Zahlen liest, muss erst einmal schlucken. Aber natürlich haben diese Zustimmungswerte nichts mit dem Menschenschlag zu tun, sondern mit klar benennbaren historischen Faktoren. Die holsteiner Bauern gehörten seit jeher zu den reichsten Landwirten in ganz Norddeutschland und konnten lange ihre Unabhängigkeit vom Adel aufrechterhalten. Entsprechend groß war ihr Selbstbewusstsein. Als nun nach 1918 die Landwirtschaft insgesamt an Bedeutung verlor, waren sie diejenigen, die das am wenigsten akzeptieren konnten. 140.000 Menschen gingen an einem Tag auf die Straße und forderten eine Blut-und-Boden-Politik, in der sie selbst eine führende Rolle einnehmen sollten. Hitler und seine Männer brauchten nur zu warten, bis die unorganisierte neue Bewegung abebbte, um sie zu beerben. Eine bessere Vorarbeit hätte es nicht geben können.

KRONSNEST ist im Druck. Und ich sitze am Schreibtisch und versuche, mich auf den zweiten Roman zu konzentrieren, eine Fortsetzung mit denselben Personen am selben Ort zwölf Jahre später, also 1941. Die Hauptfigur Hannes hat Glück und muss nicht in den Krieg, aber er muss in einer Umgebung leben, die ihn fast wahnsinnig macht, so groß ist die Begeisterung für Hitler und das immer mächtigere Deutschland. Ein Leben zwischen Anpassung und Auflehnung.

32

20200919-FXT31644e_web

Wolkenfront

Pendragon

Pendragon

Unser unabhängiger Verlag aus Bielefeld ist: Berühmt für Krimis, bekannt für mehr! Gemeinsam mit Autoren und Freunden stürmen wir die Blogosphäre!
Pendragon

2 Gedanken zu “KRONSNEST – Gedanken des Autors

  1. Lieber Florian,

    allein die Beschreibung (ist es das richtige Wort? ), was dich zu dem Schreiben deines Romans bewegt hat und wie du Land und Leute siehst, ist so bunt und interessant, dass man Lust auf mehr bekommt, nämlich auf den Roman. Ich bin sehr gespannt!

  2. Lieber Florian,
    Du beschreibst die Menschen in Deiner Heimat so, wie ich sie auch kennengelernt habe. Der lokale geschichtliche Hintergrund ist interessant. Man liest aus Deiner Beschreibung heraus, wie viel Du über die Jahre recherchiert und Erkenntnisse gewonnen hast. Ich freue mich auf die Lektüre und die Teilhabe an diesen Erkenntnissen. Herzlichen Glückwunsch!

Kommentar verfassen