Karlos schnüffelte begeistert. Es war ein guter Tag. Feuchte, kühle Luft waberte durch seinen Park und verstärkte die vielen Gerüche. Wie den von der Labrador-Dame, die gestern kurz vor der Dämmerung hier gewesen sein musste, und die eindeutig läufig war. Karlos markierte ihre Spur. Vielleicht kam sie ja wieder hier vorbei.
Ein neuer, verführerischer Duft ließ dem kräftigen Rüden das Wasser in der Schnauze zusammenlaufen. Karlos sog die Luft ein und zog spontan an der Leine, was ihm ein missbilligendes „Na!“ vom anderen Ende einhandelte. Aber dieser Duft! Fleisch, gewürzt, irgendetwas, das sonst die Menschen aßen. Karlos bekam so etwas nie. Jetzt war es ganz in der Nähe.
Hektisch schnüffelnd drängte er vom Weg ins Gras. Da war es! Gierig wollte er es packen, als die Leine sich straffte. „Nein, aus!!!“ Die Stimme klang jetzt gar nicht böse, sondern erschrocken. Karlos zögerte. Und überlebte.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Martina hatte gerade noch rechtzeitig das verräterische Salamiröllchen erwischt, bevor ihr Hund zuschnappen konnte. Sie war gewarnt, seitdem mehrere dieser Köder im Nordpark aufgetaucht waren. Wer auch immer sie auslegte meinte es ernst: Vor einer Woche war ein stattlicher Riesenschnauzer an dem Rattengift darin gestorben. Martina wickelte die Salami in einen Hundekot-Beutel und ließ das Päckchen in ihrer Tasche verschwinden. Erleichtert, aber mit immer noch pochendem Herzen strich sie Karlos über den Kopf. Dann verließen sie den Park in Richtung Polizeiwache.
Als sie mit dem Hund durch die Tür kam, beäugte sie der Beamte kritisch. „Muss der nicht einen Maulkorb tragen?“, fragte er. Martina kannte das schon. „Nein, Schäferhund-Boxer-Mix. Kein Kampfhund“, sagte sie und konnte sich nicht verkneifen: „Außerdem sind Menschen eh gefährlicher.“ Damit legte sie die Wurst auf den Empfangstresen.
Das Gespräch mit dem Polizisten war schnell vorbei. Er schien den großen Hund loswerden zu wollen, obwohl Karlos sich tadellos benahm. Das war ihr immer wichtig, gerade weil er wie ein Kampfhund aussah mit der kurzen, kräftigen Schnauze, den Knickohren und der breiten Brust. Dabei war er so friedlich, dass er selbst einen Einbrecher wohl höchstens zu Tode geleckt hätte. Auf jeden Fall sei man wachsam, sagte der Polizist, aber es sei unwahrscheinlich, dass man den Typen kriege. Sie gab ihre Personalien an, fertig.
So ging das nicht. Die würden nichts machen. Martina hatte nicht einen einzigen Polizisten im Park gesehen, seitdem das Gift dort aufgetaucht war. Vielleicht waren denen die Hunde egal, aber wenn doch mal ein Kind so eine präparierte Wurst aufsammelte?
Martina sah Karlos an, ihren großen, sanftmütigen Begleiter, der fast einem feigen Giftanschlag zum Opfer gefallen wäre. Vielleicht sollte sie selbst mal versuchen, ob sie etwas herausfand. Der Typ konnte die Köder doch eigentlich nur auslegen, wenn im Park wenig los war. Frühmorgens vielleicht – dann waren sie noch frisch und rochen besonders stark, wenn die Hunde zum morgendlichen Gassigehen in den Park geführt wurden…
Martina stand früh auf und war im Morgengrauen mit Karlos im Park. Der schien sich nicht zu wundern, sondern schnüffelte begeistert auf der Wiese herum. Heute war sie nicht auf den Wegen geblieben, sondern suchte die Deckung der Rhododendronbüsche. Falls sie jemanden sah, konnte sie ein Foto machen – das würde den Arbeitseifer der Polizisten vielleicht beflügeln. Irgendwer musste ja was tun.
Fünf Tage passierte nichts, außer dass sich Karlos an die frühe Runde gewöhnte. Am Sonntagmorgen war Martina dann genauso früh draußen wie in der Woche – sie war schon immer eine Frühaufsteherin, da war es dann auch egal. Der morgendliche Oktobernebel hing im Park, aber es sollte ein schöner Tag werden. Nur schade, dass zu dieser Jahreszeit keine Vögel in den alten Bäumen sangen.
Da fiel ihr der Mann auf. Er hatte eine Plastiktüte in der Hand, lief den Weg entlang und bückte sich kurz unter einem Baum. Dann ging er weiter und griff erneut in die Tüte. Er kam auf sie zu. Martina ging rückwärts hinter den nächsten Busch, zückte das Handy und wartete. Karlos stand neben ihr und sah sie fragend an. Gleich wäre der Man nah genug, noch ein paar Schritte – da hörte Karlos eine Maus. Er erstarrte kurz, dann sprang er, die Nase voran, in das Laub unter dem Busch. Es raschelte, der Mann sah in ihre Richtung, entdeckte Martina mit dem Handy und rannte davon.
Na toll. Martina hatte zwar noch laut klickend auf den Auslöser gedrückt, durch den Ruck an der Leine aber einen Baum und nicht den Hundemörder fotografiert. Karlos tauchte niesend und schwanzwedelnd aus dem Laub auf. Für heute war es wohl gelaufen. Aber vielleicht hatte der Kerl sich ja erschreckt und kam nicht mehr wieder. Vorsichtig, den begeistert schnüffelnden Hund kurz an der Leine, ging sie zu dem Baum, wo der Mann sich gebückt hatte. Sie wusste, was sie finden würde. Diesmal war es Fleischwurst. Als sie den Köder aufhob, nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie Karlos sich umsah – dann ein plötzlicher Schmerz auf dem Hinterkopf, der alles auslöschte.
Karlos wunderte sich, als Martina neben ihm auf den Weg fiel. Er roch Blut. Der Mann kam näher, griff nach ihr. Das war nicht gut. Irgendwas stimmte nicht. Karlos knurrte leise. Das tat er sonst nie, denn er durfte das nicht. Aber Martina sagte nichts. Also knurrte er weiter. Der Mann hielt inne, sah ihn mit großen, weiten Augen an. Karlos roch Schweiß und Angst. Und knurrte lauter. Und bleckte grollend die Zähne. Der Mann wich langsam zurück, sprang dann auf und rannte weg. Karlos wandte sich um und leckte Martina das Gesicht. Sie stand nicht wieder auf.
Der Mann aus dem Park wurde jetzt wegen Totschlags gesucht, die Polizei durchkämmte das ganze Gelände. Hinter Gittern landete er aber auf anderem Weg. Wenige Tage nach dem Vorfall wurde in einem benachbarten Städtchen ein Mann aufgegriffen. Er redete wirres Zeug von einem Höllenhund, der ihn mit gefletschten Zähnen verfolge, um ihn zu holen. Da er in seinen Wahnvorstellungen panisch auf die Straße rannte, wurde er in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen.
Karlos erfuhr davon nichts. Er musste zunächst auch hinter Gitter, ins Tierheim. Aber die Medien berichteten von dem Fall und auch von dem treuen Hund, der bei der Leiche im Park gesessen hatte und nun heimatlos war. So kam er wieder auf freien Fuß und drehte bald mit einem neuen Menschen seine Runden im Park. Salami fand er dort nie wieder.
von Marlen Grote
Pendragon
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Bildquellen
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Bei diesen Zeilen, behauen mit Beilen und vollendet mit Feilen, will ich nun verweilen.